Unser Jahresrückblick 2022

Frauen. Solidarität. Hoffnung.
Zuversicht ist ein hohes Gut in dieser Zeit der Kriege und Krisen. Viele unserer Einsatzländer und damit auch die Arbeit unserer Partnerorganisationen standen in diesem Jahr verstärkt unter dem Eindruck innenpolitischer und außenpolitischer Spannungen. Dies galt in unterschiedlicher Ausprägung für Südosteuropa ebenso wie für die Region der Großen Seen oder den Nordirak. Gleichzeitig führte der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und die Festigung der Taliban-Herrschaft in Afghanistan weiterhin verstärkt zu Gewalt gegen Frauen und Mädchen sowie gegen die Aktivist:innen, die sie unterstützen.
Zusammen mit unseren Partner:innen weltweit konnten wir dennoch Zuversicht und Hoffnung schenken – dank unserer Spender:innen. Das Bedürfnis unter den Aktivist:innen, die stärkende Solidarität untereinander zu erleben und zu festigen, war selten so groß. Internationale feministische Verbundenheit war die Kraftquelle für ihre Arbeit, bei der sie Überlebenden sexualisierter Gewalt zur Seite stehen.
Afghanistan: Eine Gewaltherrschaft kehrt zurück
August 2021: Nach dem übereilten Abzug der NATO-Truppen rückten die Taliban in Afghanistan vor. Afghan:innen, die friedlich für ihre Rechte protestieren, werden seitdem bedroht, verhaftet und gefoltert. Frauenrechtsaktivist:innen berichten vermehrt über Entführungen, Zwangsverheiratungen und Vergewaltigungen von Frauen und Mädchen. Der Umsetzung des Ende 2021 vom Außenministerium vorgestellten „Aktionsplans Afghanistan“ ist unzureichend und verläuft bis heute schleppend.

Evakuierungen: Solidarität, die Leben rettet
Gemeinsam mit den Aktivist:innen von Kabul Luftbrücke und ihrem Netzwerk gelang es uns, den Großteil unserer Kolleg:innen und ihrer engsten Familienmitglieder aus Afghanistan bei ihrer Evakuierung zu unterstützen.
Gleichzeitig wurde eine Mitarbeiterin eingestellt, die die in Deutschland angekommenen Kolleg:innen unterstützt und sich um den Aufbau von Unterstützungs- und Willkommensstrukturen kümmert. Das Team wird von in Deutschland angekommenen afghanischen Kolleg:innen begleitet. Ihre Arbeit ist wertvoll und schenkt Hoffnung. Ermöglicht wurde dieser rettende Einsatz durch unsere Spender:innen.
Ausblick: Welche Frauenrechtsarbeit ist im Land möglich?
Ukraine: Schnellstmöglich traumasensible Angebote schaffen
Gemeinsam mit dem europäischen Frauennetzwerk WAVE (Women Against Violence Europe) entwarf medica mondiale schnellstmöglich nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs ein Projekt, wie Frauenrechtsorganisationen und lokale Aktivist:innen in der Ukraine am effektivsten in ihrer Arbeit unterstützt werden können. Mit der Arbeit losgehen konnte es dann im Mai. Das Ziel: Schnelle und traumasensible Angebote für Frauen und Mädchen bei gleichzeitiger Stärkung der Unterstützenden ermöglichen.
Realisiert werden konnte dieser schnelle Einsatz dank unserer Spender:innen und dem medica mondiale Nothilfefonds. 2023 wird es weitere stärkende Angebote für lokale Frauenrechtsorganisationen geben.
Jahresrückblick in Bildern: zwölf Mal Hoffnung für Frauen und Mädchen
Deutschland: Solidarität zeigen, feministische Politik einfordern
In Deutschland und weltweit protestierten die Menschen 2022 intensiv gegen Krieg, gegen Gewalt und für Freiheit und Menschenrechte. Ihre Solidarität galt den Menschen in Afghanistan, der Ukraine, dem Iran und vielen anderen Kriegs- und Krisengebieten.
Auch wir und unsere Partnerorganisationen engagierten uns mit Solidaritätsbekundungen, Aufklärungsarbeit und politischen Forderungen. Denn Freiheit, körperliche Selbstbestimmung und Unversehrtheit sowie Gleichberechtigung sind zusammen mit weiteren Menschenrechten das Fundament für Frieden und ein Ende der Gewalt.
Jahresrückblick-Spotlight: Lila-Podcast

„Trauma, Gerechtigkeit und Geschlecht – Sexualisierte Kriegsgewalt ist politisch“
Katrin hat sich für diese Podcast-Folge bei medica mondiale mit der Politik-Referentin Jessica Mosbahi und der Leiterin der Trauma-Arbeit, Karin Griese, getroffen, um über Ursachen und Folgen sexualisierter Kriegsgewalt zu sprechen. Was können wir präventiv tun und wie können wir Überlebenden helfen?
Balkan: Gewalt verhindern, Erinnerungskultur fördern, Unrecht anerkennen

- Mehr als 58 Prozent der Romnija in Serbien werden vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet. Roma Novi Bećej (ARNB) ist eine Partnerorganisation von medica mondiale und engagiert sich gegen Zwangs- und Frühverheiratungen. Sie wollen erreichen, dass die Verheiratung von Minderjährigen nicht mehr als Roma-Tradition wahrgenommen wird, sondern als patriarchale Praxis.
- Die Jugoslawien-Kriege liegen keine 30 Jahre zurück. In der letzten Zeit hat die nationalistische Rhetorik wieder stark zugenommen. Gemeinsam mit serbischen, kosovarischen und bosnischen Aktivist:innen entwickelt medica mondiale neue, feministische Ansätze in der Erinnerungsarbeit.
- Die erste Tür, an die gewaltbetroffene Frauen klopfen, ist häufig die einer Gesundheitseinrichtung. Doch es gibt kaum geschulte Anlaufstellen. Mit einem länderübergreifenden Programm schaffen medica mondiale und drei Partnerorganisationen Abhilfe. Ärzt:innen, Hebammen und Pfleger:innen werden geschult. Die Fachkräfte teilen das Gelernte und verankern es somit in ihren Einrichtungen.
Video-Interview: „Im Schmerz liegt auch Verbindendes“
Die Aktivist:innen unserer Partnerorganisationen in Südosteuropa besuchten das medica mondiale Büro in Köln für einen fachlichen Austausch. Im Video äußern sie sich über die Bedeutung ihrer Arbeit gegen Stigmatisierung von Überlebenden und für die Anerkennung des Unrechts.
Im Video-Interview:
- Mirlinda Sada, Medica Gjakova (Kosovo)
- Sanja Pavlović, Autonomous Women’s Center (Serbien)
- Sabiha Husić, Medica Zenica (Bosnien und Herzegowina)
- Ardita Metaj-Dika, KRCT (Kosovo)
- Maja Žilić, Youth Initiative for Human Rights (Serbien)
- Jasna Zečević, Vive Žene (Bosnien)
Irak: lernen und verteidigen
Die Lage im Irak ist weiter sehr instabil. Unsere Partner:innen arbeiten entsprechend unter schwierigen Bedingungen – geben aber nicht auf. Wie häufig in Konfliktregionen nimmt die Gewalt im Land seit einigen Jahren enorm zu.

In dieser Zeit sind unsere Projekte für Frauen und Mädchen ein großer Halt. Ein Beispiel ist die Arbeit von „Lotus Flower“. Unsere Partner:innen bieten Alphabetisierungs-, Box- und Selbstverteidigungskurse an, um das Selbstvertrauen und den Zusammenhalt von Frauen und Mädchen zu stärken. Gleichzeitig spielen die psychologische Beratung und Therapie im Projekt eine große Rolle. Das ist wichtig, weil psychische Probleme unter Vertriebenen und Flüchtlingen weiter stark zunehmen.
Einen Einblick in die Arbeit von „Lotus Flower“ gibt es in diesem englischsprachigen Video (Trigger-Warnung: Gewalt):
Den Helfenden helfen
Westafrika: neue Direktorin für Medica Liberia
Liberia – das „Land der Freien“ – ist kein freies und sicheres Land für Frauen und Mädchen. Seit Jahrzehnten setzt sich Caroline Bowah für die Rechte von Frauen in Liberia ein, seit 2013 in der Funktion der Direktorin von Medica Liberia. Dieses Amt hat sie Anfang 2022 an Yah Parwon übergeben. Für die offizielle Stabsübergabe reisten beide Frauen im August nach Köln. Yah Parwon hat in ihrer neuen Funktion viel vor: „Eine der größten Herausforderungen für Überlebende in Liberia ist die tief verwurzelte, patriarchale Unterdrückung, die weiterhin zu viel Gewalt gegen Frauen führt“, so Yah Parwon. Einen Einblick in die Lage im Land und wie sehr sexualisierte Gewalt das Leben von Frauen in Liberia prägt, geben die beiden Aktivist:innen in diesem Video:
Besuch aus Liberia in Köln
Während ihrer Zeit in Köln nahmen Carol Bowah und Yah Parwon an einer Diskussionsrunde in Zusammenarbeit mit „Sonnenblumen Community Development Group“ teil, um über die damals anstehenden Wahlen in Liberia zu sprechen.
Sierra Leone: Girl2Girl macht sich stark für Mädchen
In Liberias Nachbarland Sierra Leone ging unterdessen die Arbeit unserer Partnerorganisation Girl2Girl weiter. Sie setzen sich für von sexualisierter Gewalt betroffene Mädchen ein. Kinderheirat und Genitalverstümmelung stellen in Sierra Leone immer noch große Probleme dar. Girl2Girl bietet Betroffenen sichere Räume und vermittelt Wissen zu tabuisierten Themen.
Afrikanische Große Seen: feministischer Austausch

An- und Übergriffe auf Frauen und Mädchen in der DR Kongo haben auch 2022 wieder zugenommen, wie unsere Partnerorganisation PAIF berichtet. Diese angespannte Atmosphäre war auch während des Mukwege-Kongresses in Bukavu spürbar. Dort haben Vertreter:innen von medica mondiale zusammen mit 13 Partnerorganisationen teilgenommen, um sich fachlich auszutauschen.
Während des Kongresses wurde deutlich, wie wichtig die feministische Verbundenheit in herausfordernden Zeiten ist und wie stärkend alle Akteur:innen dieses Treffen empfanden – auch wenn manche Geladenen aufgrund der Sicherheitslage nicht anreisen konnten.
Jetzt spenden: Minderjährige Mütter stark machen für ein eigenständiges Leben
- Es mangelt an Aufklärung, an Zugang zu Verhütungsmitteln, an Schutz vor Gewalt.
- 80 Kindermütter begleitet unsere ugandische Partnerorganisation MEMPROW auf ihrem Weg in ein selbstbestimmtes Leben.
- Die Mädchen lernen die Grundlagen guter Unternehmensführung und entwickeln gemeinsam Geschäftspläne für ein eigenes Unternehmen.
- MEMPROW stellt Startkapital zur Verfügung und organisiert einmal im Jahr Auffrischungstrainings.
- Damit dieser Weg möglichst vielen jungen Frauen und Mädchen weltweit offensteht, brauchen sie Ihre Unterstützung.