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15. Mai 2023 - Meldung

Afghanische Aktivist:innen in Deutschland: „Es hat sich vieles zum Guten gewendet.“

Stark werden und Trauma verarbeiten: Das Team von medica mondiale unterstützt seit 1,5 Jahren mehr als 90 Frauen der afghanischen Partnerorganisation Medica Afghanistan in Deutschland. Dabei hat sich gezeigt, wie stark die Gemeinschaft der Aktivist:innen ist und wie aus dieser Stärke Hoffnung entsteht.

„Protect Afghan Women“ steht auf einem Protestschild, das eine Person in den Händen hält.

„Das Leben ist eine Chance. Warum sollte ich nicht glücklich sein dürfen? Ihr könnt mir glauben: Seit dem letzten Workshop habe ich nicht einmal an Selbstmord gedacht.“

Diese Rückmeldung aus einem Workshop von medica mondiale für die Mitarbeiter:innen der afghanischen Partnerorganisation Medica Afghanistan drückt aus, wie zerreißend das Leben vieler Afghan:innen nach ihrer Evakuierung aus ihrer Heimat ist. Auf der einen Seite sorgen sie sich um Freunde und Angehörige, die immer noch in Afghanistan sind. Auf der anderen Seite blicken sie immer öfter hoffnungsvoll in die Zukunft, besonders für ihre eigenen Kinder. Solche Rückmeldungen sind auch für das Team von medica mondiale bereichernd: Nochmals wird klar, wie stark die Kolleg:innen sind.

Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan 2021 hat das Team von medica mondiale die Evakuierungen der Mitarbeiter:innen von Medica Afghanistan mit ihren Familien aus dem Land unterstützt. Nach ihrer lebensgefährlichen Flucht müssen sich die in Deutschland angekommenen Kolleg:innen einleben und ein neues Leben aufbauen.  

Nachhaltige Unterstützung für Afghan:innen 

Damit dies nachhaltig gelingen konnte, setzte das Team von medica mondiale ein Willkommensprojekt auf. Innerhalb dessen unterstützte das Team von medica mondiale mit festangestellten und vielen ehrenamtlichen Kräften die ankommenden Familien bei ersten Behördengängen und bei der Wohnungssuche, durch medizinische, psychosoziale und juristische Beratung und Sprachkurse sowie bei der beruflichen Qualifizierung.  

Begleitet wurden diese Angebote von Workshops zur Selbstfürsorge von Vida Faizi von medica mondiale und Yalda Ahmadi, einer ehemaligen Mitarbeiterin von Medica Afghanistan, die selbst Ende 2021 nach Deutschland evakuiert wurde. Sie haben so die Vernetzung der Frauen untereinander unterstützt, genauso wie die Stärkung der Familien.

„Wir haben gemerkt, dass die ankommenden Familien mit Konflikten und Problemen haderten, und wir wollten sie psychologisch unterstützen”,

berichtet Vida Faizi von medica mondiale. 

„Die ehemaligen Kolleg:innen haben sehr belastende Wochen und Monate in Kabul erlebt, sie mussten konstant um ihr Leben fürchten. So lebte ein Teil von ihnen immer in der Angst, in ihren oft versteckten Unterkünften entdeckt zu werden“,

ergänzt Karin Griese, Trauma-Expertin bei medica mondiale.

Im Laufe der Zusammenarbeit hat sie dann viele berührende und Hoffnung stiftende Momente erlebt, sei es die Fotos aus Pakistan, als die erste Gruppe sicher dort angekommen war oder in Deutschland, als sie die erste Unterhaltung mit einer Kolleg:in auf Deutsch führen konnte – ohne Übersetzung. 

Engagement für Studium und Politik 

Viele der ehemaligen Kolleg:innen aus Afghanistan sind sehr gut in der psychosozialen Beratung ausgebildet. Das Ziel von medica mondiale: Dass ebenjene gut ausgebildeten Frauen ihre fachlichen Kompetenzen in Deutschland als Trainer:innen oder in der gegenseitigen Unterstützung einbringen können. An der University of Applied Sciences in Frankfurt haben zum Beispiel 45 Frauen an einem Hochschulprogramm teilgenommen, damit sie Soziale Arbeit studieren können. 

Nicht zu vergessen: Die afghanischen Frauen hören in Deutschland nicht auf, sich politisch zu engagieren. Soraya Sobhrang und Sajia Begham von der afghanischen Partnerorganisation nahmen zum Beispiel an einem hochrangigen Treffen im Ministerium für Entwicklungszusammenarbeit teil. Dabei ging es darum, wie die Menschen aus der Diaspora heraus, zivilgesellschaftliche Organisationen in Afghanistan unterstützen können. 

Von Anfang waren Vertreter:innen der afghanischen Gemeinschaft in Deutschland in die Planung des Welcome-Projektes involviert, setzten Programme und Unterstützung mit um und verbesserten die Inhalte. So entstand in den vergangenen 1,5 Jahren ein Team, das zeigte: Zusammen schaffen wir diese riesige Herausforderung.  

Motiviert und psychisch stabil 

„Es hat sich vieles zum Guten gewendet“,

berichtet Hanife Kurt, Referentin für Flucht und Asyl bei medica mondiale.

So haben die Afghan:innen gut Deutsch gelernt, einige sogar ein entsprechendes Zertifikat erlangt.

„Sie haben hier Fuß gefasst, sind psychisch stabiler geworden, sind gut vernetzt, nehmen an Integrationskursen teil und haben Pläne für die Zukunft“,

fasst Hanife Kurt zusammen. 

Dass die von medica mondiale betreuten Familien gut informiert und sich in den deutschen Strukturen zurechtfinden, macht Hanife Kurt Hoffnung.

„Sie sind motiviert, wollen arbeiten und ein menschenwürdiges Leben führen.“ 

Gemeinsam stellen sich die Frauen und Familien den Aufgaben. Heute unterstützen und stärken sie sich gegenseitig und setzen sich weiter für Frauenrechte in Afghanistan ein – als Kollektiv und mit medica mondiale. So ergründen sie, wie sie sich weiter organisieren können, wollen vielleciht einen eigenen Verein in Deutschland gründen. Das Ziel: Sich weiterhin zu unterstützen, Probleme gemeinsam zu bewältigen und Afghan:innen in Deutschland und in der Heimat zu unterstützen.  

Die kommenden Monate und Jahre versprechen entsprechen viel Arbeit und Hoffnung. Oder wie es eine Teilnehmerin in einem Selbstfürsorge-Workshop ausdrückte:

„Ich habe eine sehr schwere Zeit hinter mir, und ich habe immer noch viele Probleme. Aber ich glaube, dass ich eines Tages so stark sein werde wie andere.“