Monika Hauser – mutig und solidarisch
Als die angehende Gynäkologin Monika Hauser inmitten des Jugoslawienkonflikts 1992 nach Bosnien aufbricht, halten viele sie für verrückt. Der Plan der jungen Ärztin: Für die im Krieg vergewaltigten und traumatisierten Frauen und deren Kinder einen sicheren Ort zu schaffen, an dem sie medizinische und psychologische Hilfe erhalten. Damals wie heute treibt sie die Überzeugung an, dass Frauen gegen Unrecht und Gewalt zusammenstehen müssen. Dennoch war es für sie damals nicht absehbar, dass aus ihrer unbedingten Solidarität zu den betroffenen Frauen und Mädchen in den nächsten Jahren eine internationale Frauenrechtsorganisation entstehen würde, die mit Partner:innen weltweit – mutig und solidarisch – für gesellschaftlichen Wandel eintritt.
Die Welt bleibt tatenlos – Monika Hauser reist ins Kriegsgebiet
Als Monika Hauser im Herbst 1992 aus den Medien von den Massenvergewaltigungen an bosnischen Frauen im Krieg auf dem Balkan erfährt, packt sie die Wut. Wut darüber, was den Frauen widerfährt. Aber auch darüber, wie über sie berichtet und ihnen so ein weiteres Mal Gewalt angetan wird. Da die internationale Staatengemeinschaft und Hilfsorganisationen tatenlos bleiben, reist die junge Frauenärztin wenig später selbst mitten ins Kriegsgebiet.
„Wut und Entschlossenheit ließen mich im Winter 1992 nach Bosnien aufbrechen – mitten ins Kriegsgebiet. Die Medien berichteten ausgiebig über die massenweisen Vergewaltigungen auf dem Balkan. Von Hilfe für die traumatisierten Frauen aber war nirgends die Rede.”
„Ich habe mir gesagt: Ich kann jetzt nicht weiter auf dem Sofa sitzen und diese Berichte lesen.”
Schon als junges Mädchen war ihr klar: Gewalt gehört zum Alltag von Frauen
Dass „Frauen und Gewalt irgendwie zusammengehören“, erfährt Hauser schon als Kind aus den Erzählungen ihrer Südtiroler Großmutter. Bei Besuchen in ihrem Heimatdorf, berichtet diese ihr, welchen Härten Frauen im Alltag ausgesetzt sind. Auch von massiver sexualisierter Gewalt, die viele Frauen und Mädchen erleiden müssen, hört sie früh.
Medizinstudium und erwachender Widerstand
Nach der Schule studiert Hauser (geb. 1959) zunächst Medizin in Innsbruck und Bologna und macht anschließend die Ausbildung zur Fachärztin in Gynäkologie. Schon bei ihrem Praktischen Jahr im Krankenhaus Schlanders in Südtirol 1984 regt sich ihr Widerstand gegen den von Männern dominierten Klinikalltag. Vor allem der unsensible Umgang mit den Patientinnen, insbesondere auf der Geburtsstation bringt sie auf.
Patientinnen berichten Monika Hauser von vielfältiger Gewalt
Auch in der Uniklinik Essen, wo sie zunächst nach ihrem Studienabschluss arbeitet, trifft sie auf ähnliche Verhaltensweisen. Aber die junge Ärztin hört ihren Patientinnen zu und erfährt, dass hinter Verletzungen und körperlichen Symptomen der Frauen oft Demütigungen, Vergewaltigung und Misshandlungen stehen. Es ist eine prägende Zeit, die ihren Blick für die strukturellen Ursachen von Gewalt schult und die Anfänge für ihre ganzheitliche Herangehensweise legt.
„Diese Zeit hat mich positiv radikalisiert. Viele Frauen haben mir ihre Geschichten anvertraut und ich habe ihnen zugehört und die Dinge (Gewalt) benannt. Es hat vielen nicht gefallen, was ich gemacht habe, dem Ehemann nicht, dem Dorfpfarrer nicht, aber ich habe sehr viel Widerstandskraft gewonnen.”
Mit einheimischen Fachkräften Frauen beistehen
Als Frauenärztin weiß sie, welches Leid die vergewaltigten bosnischen Frauen und Mädchen durchmachen, und dass sie dringend medizinische und psychologische Hilfe brauchen. In Bosnien angekommen, gelingt es ihr, schnell Kontakte zu einheimischen Psychologinnen und Ärztinnen zu knüpfen, die den vergewaltigten Frauen und Mädchen ebenfalls beistehen wollen.
In Köln wird medica mondiale gegründet
Unterstützer:innen in Deutschland solidarisieren sich mit Monika Hausers Einsatz in Bosnien. Sie betreiben Öffentlichkeitsarbeit, akquirieren Spendengelder und organisieren Hilfstransporte mit Kleidung, Lebensmittel, medizinischen Gerätschaften, Hygieneartikeln, aber auch Büroausstattung für die Frauenzentren. In Köln bauen sie eine Geschäftsstelle auf und gründen im Mai 1993 den gemeinnützigen Verein „Medica“, der später in medica mondiale umbenannt wird.
„Mein Einsatz für eine gerechtere Welt für Frauen und Mädchen war stets geprägt und begleitet von der Solidarität und Unterstützung feministischer Mitstreiter:innen, Fachfrauen und Freund:innen in Köln und weltweit. Ich bin sehr stolz darauf, dass wir mit medica mondiale eine starke Organisation gegründet haben, die unseren Kampf für Frauenrechte wirksam und beharrlich fortführt.“
Weitere Projekte entstehen weltweit
Sich für die Rechte und den Schutz von Frauen und Mädchen zu engagieren, wird zu Hausers Lebensaufgabe. In den nächsten Jahren reisen sie und ihre Kolleginnen in weitere Kriegs- und Krisengebiete – in den Kosovo , nach Ruanda , Liberia , Afghanistan – überall dorthin, wo Frauen und Mädchen sexualisierter Kriegsgewalt ausgesetzt sind und kaum Hilfe erfahren. Gezielt suchen sie nach lokalen Fachfrauen und Initiativen , denen sie Unterstützung anbieten, um deren Arbeit zu stärken.
Medizinische Versorgung allein reicht nicht
Aus ihrer Tätigkeit als Ärztin und den vielen Begegnungen mit Überlebenden vor Ort weiß Monika Hauser, dass es mehr als nur medizinische Hilfe braucht, damit die körperlichen Verletzungen und seelischen Traumata dieser Gewalt heilen können. Ganzheitliche Gesundheitsversorgung, so ist sie überzeugt, muss einhergehen mit psychosozialer Unterstützung ebenso wie mit Hilfe zum Lebensunterhalt und dem Kampf um Gerechtigkeit.
Stress- und traumasensibler Ansatz zur ganzheitlichen Unterstützung
Gemeinsam mit dem stetig wachsenden Team von medica mondiale in Köln und Partnerinnen vor Ort entwickelt Hauser in den nächsten Jahren den „STA - stress- und traumasensibler Ansatz®“ zur ganzheitlichen Unterstützung von Gewaltüberlebenden. Weil vielerorts das fachliche Wissen dazu fehlt, vermittelt medica mondiale in Fortbildungen den Umgang mit traumatisierten Überlebenden.
Mit politischer Lobbyarbeit gegen strukturelle Ursachen
Neben direkter Hilfe für die Frauen engagiert sich medica mondiale von Anfang an auch politisch. Denn allen ist bewusst - die Vergewaltigungen im Jugoslawienkrieg waren kein neues Phänomen, das Leid der Frauen keine Einzelschicksale. Sexualisierte Kriegsgewalt ist vielmehr ein weltweites Phänomen, dessen Ursachen in patriarchalischen Strukturen und systematischer Unterdrückung von Frauen liegen.
Öffentlichkeit sensibilisieren und um Spenden werben
Um auf die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen aufmerksam zu machen und die Projekte von medica mondiale und die Arbeit der Frauenorganisationen vor Ort zu finanzieren, ist Monika Hauser unermüdlich unterwegs. Sie knüpft Netzwerke , gibt Interviews, hält Vorträge, schreibt Anträge und wirbt Spenden ein. Gerade die in den Anfängen erlebte Solidarität haben ihr gezeigt, was Frauen gemeinsam bewegen können. Und ihr ist klar, dass daneben auch gesellschaftlich gegen Stigmatisierungen angegangen werden muss.
Sie wird nicht müde, sich für Gerechtigkeit einzusetzen
Bis heute bleibt sie unbequem und setzt sich beharrlich dafür ein, dass Frauen und Mädchen weltweit Gerechtigkeit und Anerkennung erfahren. Überall fordert sie mehr Engagement: Ob 2014 beim vom damaligen britischen Außenminister William Hague und der UNHCR-Sondergesandten Angelina Jolie initiierten „Global Summit to End Sexual Violence in Conflict“ in London, bei den „Peace Talks“ der Vereinten Nationen in Genf 2018 oder der vom Auswärtigen Amt ausgerichteten Konferenz „Advocating Human Rights in the 21st Century“ in Berlin 2019.
„Vergewaltigung ist ein sehr effizientes Mittel, Frauen mundtot zu machen! Und immer geht's um Einschüchterung.”
Auszeichnungen für ihr Engagement
Für ihren beharrlichen Einsatz für Frauenrechte wurde Monika Hauser mit unzähligen Preisen ausgezeichnet. Der wohl wichtigste war der sogenannte Alternative Nobelpreis (Right Livelihood Award) im Jahr 2008. Die Jury würdigte damit ihren unermüdlichen Einsatz für Frauen, die in Krisenregionen schrecklichste sexualisierte Gewalt erfahren haben, und ihren Kampf, ihnen gesellschaftliche Anerkennung und Entschädigung zu verschaffen.
Ihre Bekanntheit ermöglicht die Arbeit auszuweiten
Die so entstandene Bekanntheit nutzen Monika Hauser und das Team von medica mondiale, die Ursachen und Folgen sexualisierter Gewalt öffentlich zu machen, weitere Mitstreiter:innen zu finden und die Arbeit von medica mondiale zusammen mit lokalen Partnerorganisationen auf weitere Kriegs- und Krisengebiete wie die Demokratische Republik Kongo , Burundi und den Irak auszuweiten.
Solidarität ist stärker als Gewalt
Bis heute hat Monika Hauser „nicht aufgehört anzufangen“. Wo immer Frauen und Mädchen Gewalt und Unterdrückung erfahren, setzt sich die von ihr gegründete Frauenrechtsorganisation medica mondiale für deren Rechte ein. Was Hauser auch nach fast 30 Jahren antreibt, ist die Überzeugung, dass Solidarität und Gerechtigkeit bei uns selbst beginnen. Und dass gegenseitige Unterstützung stärker ist als jede Gewalt.
„Wir als Zivilgesellschaft tragen nicht die Verantwortung für falsche Politik. Aber wir tragen die Verantwortung dafür, ob wir uns ganz persönlich im Rahmen unserer Kräfte für Veränderungen einsetzen, für die Würde der überlebenden Frauen und Mädchen – und für unsere eigene Würde!“