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06. September 2023 - Meldung

Mädchenarbeit in Sierra Leone: Netzwerk der Entschlossenheit

Fatima* war 15, als ihre Eltern entschieden, sie zu verheiraten. Der Mann, den sie ausgesucht hatten, war älter als ihre Mutter. Fast jedes zehnte Mädchen in Sierra Leone ist bei der Hochzeit jünger als 15 Jahre. Mehr als die Hälfte der Sierra-Leoner:innen wird vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet. Die meisten jungen Ehefrauen brechen die Schule ab. Doch Fatima wollte nicht heiraten. Sie wollte ihren Schulabschluss. Und sie setzte sich durch. Auch dank der Unterstützung von Girl2Girl.

Zehn Jahre ist es her, dass sich eine Gruppe junger Frauen im Rahmen einer Studie über Teenagerschwangerschaften kennenlernte. Von Studienteilnehmer:innen wurden sie zu Aktivist:innen. Sie gründeten Girl2Girl, um in den Armenvierteln von Sierra Leones Hauptstadt Freetown Mädchen zu stärken.

Über die Jahre hat sich die Entschlossenheit der Gründer:innen weiterverbreitet. Mittlerweile gibt es rund um Freetown acht Girl2Girl-Netzwerke. Gegründet von jungen Frauen für junge Frauen bieten sie geschützte Räume innerhalb einer Gesellschaft, in der sexualisierte Gewalt weit verbreitet ist. Fast 90 Prozent der Frauen und Mädchen sind von Genitalverstümmelung (FGM) betroffen.

Für Frauenrechte und Gewalt sensibilisieren: Aufklärung an Schulen, in Familien und Gemeinden

Bei ihren Treffen diskutieren sie über Schulabbrüche und ungewollte Schwangerschaften, über Frauenrechte und FGM. Die Diskussionen tragen sie in Familien und Freundeskreise und brechen so das Schweigen über die alltägliche Gewalt gegen Frauen. Das Team von Girl2Girl steht den jungen Aktivist:innen dabei zur Seite und sorgt für Verbündete: Bei regelmäßigen Treffen sensibilisieren die Mitarbeiter:innen Nachbar:innen, Gemeindevorsteher:innen und Lokalpolitiker:innen für Frauenrechte.

Das half auch Fatima, sich durchzusetzen. Als die Aktivist:innen aus dem Girl2Girl-Netzwerk in Fatimas Dorf von der geplanten Verheiratung erfuhren, sprach die Netzwerk-Leiterin mit Fatimas Eltern über die Bedeutung von Bildung und die Folgen von Kinderverheiratungen: Je jünger die Braut, desto höher ist das Risiko von Gewalt in der Partnerschaft, desto größer die Gefahr von Schwangerschaftskomplikationen – mit teils tödlichen Folgen für Mutter und Kind. Mit der Unterstützung des Girl2Girl-Netzwerkes gelang es Fatima, ihre Eltern zu überzeugen. Sie sagten die Hochzeit ab.

Sierra Leone: Schulclubs für Mädchenrechte

Seitdem setzt sich Fatima dafür ein, dass Mädchen und deren Eltern erkennen, wie wichtig Bildung ist. Unterstützung bekommt sie dabei von den Schüler:innen-Clubs, die Girl2Girl in sechs Schulen gegründet hat. Deren Mitglieder – fünf Jungen und fünf Mädchen – nehmen regelmäßig an Schulungen zu Gender und sexualisierter Gewalt, Menstruation und Verhütung teil. Sie geben ihr Wissen anschließend an ihre Mitschüler:innen weiter.

Schutznetzwerk: gewaltbetroffene Mädchen unterstützen

Auch für Lehrkräfte, Polizist:innen und Behördenvertreter:innen bietet Girl2Girl Trainings an. Langsam entsteht so rund um Freetown ein festes Netz, in dem Mädchen Schutz und Unterstützung finden. Seine Knotenpunkte bestehen aus den Mitgliedern der Girl2Girl-Gruppen, aus engagierten Lehrer:innen, Beamt:innen und Nachbar:innen. Sie wollen die patriarchalen Strukturen verändern und sind gleichzeitig Anlaufstellen für Überlebende. Wie an einer Schule im Norden von Freetown. Dort war es einer Lehrerin gelungen, das Gelernte so traumasensibel umzusetzen, dass eine Schülerin sich ihr anvertraute. Die 12-Jährige war vergewaltigt worden und bis zum Gespräch mit ihrer Lehrerin mit der brutalen Gewalterfahrung allein gewesen.

*Name geändert.

Erscheint im memo 2023/2