Nordirak: EMMA stärkt gewaltbetroffene Frauen seit zehn Jahren
Als Hayfaa* zum ersten Mal durch die Tür des Frauenzentrums in Erbil trat, hatten Jahre der Gewalt – im Land und in der Ehe – sie ausgezehrt. 13 Jahre alt war sie, als ihre Eltern sie einem Cousin zur Frau gaben. Ihr Mann heiratete später eine zweite Frau. Seine Besuche wurden weniger. Irgendwann kam er gar nicht mehr zu Hayfaa und den vier gemeinsamen Kindern in das Zelt im Geflüchtetencamp Baharka. Doch freigeben wollte er sie nicht. Anfang 2022 unternahm Hayfaa einen letzten Versuch – und ging zu EMMA.
Seit zehn Jahren finden Frauen und Mädchen bei unserer Partnerorganisation in der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak psychosoziale und rechtliche Unterstützung. Berufs- und Bildungskurse ebnen ihnen den Weg zu mehr Unabhängigkeit und einem kleinen eigenen Einkommen. EMMA bedeutet „Wir“ auf Kurdisch. Das „Wir“, das die Aktivist:innen anstreben, ist das einer freien und friedlichen Gesellschaft, die die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen garantiert.
Geflüchtete Frauen und Mädchen ganzheitlich unterstützen
Mittlerweile bietet EMMA in verschiedenen Zentren rund um Erbil und Dohuk sichere Anlaufstellen für Frauen. Mobile Teams sind in den großen Vertriebenenlagern und Aufnahmegemeinden unterwegs. Dort leben noch immer rund eine Million Binnenvertriebene. In ihren Dörfern und Städten gibt es keine funktionierenden Schulen und Krankenhäuser. Stattdessen gibt es Minen, gelegt von den Islamist:innen des sogenannten Islamischen Staates, und Kämpfe zwischen der türkischen Armee und der kurdischen PKK.
„Der Alltag in den Geflüchtetenunterkünften ist schon belastend genug“,
„Unzählige Mädchen und Frauen müssen darüber hinaus mit unerträglichen Erlebnissen von Flucht, Versklavung und Vergewaltigungen weiterleben, während sie als Überlebende der Gewalt stigmatisiert werden.“ Umso wichtiger ist die Arbeit der Sozialarbeiter:innen und Psycholog:innen von EMMA. Sie bieten an vielen Orten die einzigen Unterstützungsangebote für die Frauen und Mädchen.
Gewaltbetroffene Frauen umfassend stärken, öffentlich über Gewaltfolgen aufklären
In den Zentren der Organisation können sie an Einzel- und Gruppentherapien oder Familienberatungen teilnehmen. Um auch finanziell unabhängiger zu werden, können die Frauen in den hellen Räumen der Zentren Alphabetisierungs-, Englisch- und Computerkurse absolvieren, sich zur Schneider:in, Bäcker:in und Kosmetiker:in ausbilden lassen.
Sexualisierte Gewalt gehört auch nach dem Sieg über den sogenannten Islamischen Staat zum Alltag vieler Frauen und Mädchen. Deshalb sensibilisiert EMMA Fachkräfte in öffentlichen Einrichtungen für die Ursachen und Folgen sexualisierter Gewalt und den traumasensiblen Umgang mit Überlebenden. Auf politischer Ebene setzen sich die Aktivist:innen für die Umsetzung bestehender Gesetze ein. Mit öffentlichen Kampagnen machen sie sich für Frauenrechte stark.
Frauenrechte einfordern und umsetzen: für ein selbstbestimmtes Leben
Anwält:innen unterstützen Mütter, Ehefrauen und Töchter dabei, das Recht, das ihnen laut Gesetz zusteht, auch zu bekommen. Sie vertreten ihre Klient:innen vor Gericht, erkämpfen Scheidungen und sorgen dafür, dass die Frauen Unterhaltszahlungen für sich und ihre Kinder erhalten.
Auch Hayfaa fand hinter der braunen Tür des Zentrums in Erbil juristische Hilfe. Gemeinsam mit einer Anwältin begann sie den Scheidungsprozess. Bei ihren Besuchen erfuhr sie von den Schneiderkursen, die EMMA anbietet. Und das Organisationsteam erfuhr von Hayfaas Können. Heute gibt sie Nähkurse und unterstützt damit andere Frauen auf dem Weg in ein selbstbestimmtes Leben.
*Name geändert
Erschienen im memo 2023/2