„An den Friedensverhandlungen zum Bosnienkrieg war nicht eine einzige Frau beteiligt, ihre Rechte und Interessen fanden keinen Eingang in das Friedensabkommen.“
Frauen, Frieden und Sicherheit: kein Frieden ohne Frauen
Wir leben in einer Zeit, die geprägt ist durch bewaffnete Konflikte, gewaltsamen Extremismus sowie schweren Menschenrechtsverletzungen gegenüber der Zivilbevölkerung. Für Frauen und Mädchen bedeuten Kriege immer auch massive sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt. Die Bundesregierung steht vor der Aufgabe, gemeinsam mit internationalen Partner:innen tragfähige Lösungen für diese Herausforderungen zu entwickeln. Der Schutz von Frauen in bewaffneten Konflikten sowie ihre volle Mitwirkung an Friedensprozessen tragen dabei erheblich zur Wahrung und Förderung des Friedens und der internationalen Sicherheit bei. Zu diesem Schluss kam auch der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und verabschiedete die Resolution 1325 „Frauen, Frieden und Sicherheit“.
Zahlen & Fakten zu Frauen, Frieden und Sicherheit
Was ist die Resolution 1325?
Am 31. Oktober 2000 verabschiedete der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) einstimmig die Resolution 1325 „Frauen, Frieden und Sicherheit“. Zum ersten Mal überhaupt befasste sich der Rat ausschließlich mit der Situation von Frauen und Mädchen in Kriegskontexten und stellte dabei fest, dass ihr Schutz vor sexualisierter Gewalt sowie ihre Beteiligung an Friedensprozessen zur Wahrung des Weltfriedens beitragen.
Forderungen: Schutz von Frauen und Beteiligung an Friedensprozessen
Das UN-Gremium formulierte in der Resolution 1325 Forderungen, die sich sowohl an UN-Institutionen und Mitglieder sowie Akteur:innen in bewaffneten Konflikten richten, zu folgenden Themen:
- Partizipation von Frauen an Friedensprozessen
- Protektion von Frauen und Mädchen insbesondere vor sexualisierter geschlechtsbasierter Gewalt (SGBV)
- Prosekution der Täter:innen
- Prävention von bewaffneten Konflikten
- Präsentation von Frauen in allen Institutionen und auf allen Entscheidungsebenen
Was ist das Besondere an der Resolution 1325?
Die Resolution 1325 war bahnbrechend. Denn sie stellt im Gegensatz zum klassischen Sicherheitskonzept nicht den Staat in den Mittelpunkt der Sicherheitspolitik, sondern den Schutz von Frauen und Mädchen sowie ihre zentrale Rolle als Akteurinnen für Frieden. Dieser Paradigmenwechsel ist vor allem dem unermüdlichen Engagement von Frauenrechtsaktivist:innen zu verdanken, die sich seit der Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 dafür eingesetzt haben, dass das Thema auch vom Sicherheitsrat behandelt wird.
Anerkennung zentraler Rolle von Frauen als Friedensakteurinnen
Auch empirische Erkenntnisse belegen den Zusammenhang von Frieden, Sicherheit und Geschlechtergerechtigkeit: Nehmen Frauen beispielsweise direkt Einfluss auf Friedensverhandlungen als Beobachter:innen, Unterzeichner:innen, Mediator:innen oder Verhandler:innen, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Friedensabkommen halten in den ersten zwei Jahren um 20 Prozent und über 15 Jahre um 35 Prozent.
Was ist die Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“?
Die Resolution 1325 ist internationales Recht. Mitgliedstaaten der UN sind verpflichtet, diese umzusetzen. Mit neun Folgeresolutionen (1820, 1888, 1889, 1960, 2106, 2122, 2242, 2467 und 2493) hat der Sicherheitsrat seit 2000 eine umfassende Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ geschaffen und weitere Forderungen und Maßnahmen formuliert.
Bereits Vereinbartes steht in Frage – Frauenrechte in bewaffneten Konflikten verteidigen!
Doch gegenwärtig steht die Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ politisch unter Druck. So versuchen einige Mitglieder im UN-Sicherheitsrat die Agenda aufzuweichen und stellen bereits Vereinbartes erneut in Frage. Es ist daher wichtig, den normativen Rahmen auf internationales Ebene zu verteidigen und prioritär die praktische Umsetzung der Agenda voranzubringen. Aktivist:innen weltweit nutzen die Agenda, um die Rechte von Frauen und Mädchen in bewaffneten Konflikten gegenüber Regierungen und internationalen Institutionen einzufordern.
Die Resolution 1325 – eine Bilanz
Trotz dieser bedeutsamen normativen Errungenschaft ist die Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ für die 264 Millionen Frauen und Mädchen, die in Kriegsgebieten auf der ganzen Welt leben, eher eine rhetorische Absichtserklärung geblieben als gelebte Realität. Noch immer fehlt der politische Wille, um die Agenda zu verwirklichen.
Ohne den unermüdlichen Einsatz von Frauenrechtler:innen kaum Fortschritte
Konkrete Fortschritte müssen auch heute noch von Frauenrechtsaktivist:innen weltweit hart erkämpft werden, etwa wenn es um die Mitwirkung von Frauen an Friedensverhandlungen geht. Oder aber, wenn die Täter sexualisierter Gewalt im Irak endlich vor Gericht gestellt werden sollen.
Bis heute stellen vornehmlich Frauenrechtsorganisationen qualifizierte Unterstützung für Überlebende bereit und setzen sich für die Rechte von Betroffenen ein. Für ihr Engagement werden Frauenrechtsaktivist:innen weltweit politisch unter Druck gesetzt und sogar mit Gewalt bedroht.
Was sind nationale Aktionspläne?
Um die Umsetzung der Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ voranzubringen, haben viele Regierungen nationale Aktionspläne erarbeitet. Damit diese Pläne in der Praxis Wirkung entfalten können, müssen bedarfsorientierte Schwerpunkte, Ziele, Maßnahmen, Indikatoren und Verantwortlichkeiten festlegt werden.
Umsetzung planen: Rechenschaftslegung, Ressourcen bereitstellen, Monitoring
Außerdem sind verbindliche und transparente Mechanismen der Rechenschaftslegung erforderlich. Darüber hinaus müssen die notwendigen finanziellen und personellen Ressourcen für die Umsetzung zur Verfügung gestellt werden. Und schließlich sollte die Zivilgesellschaft an dem Monitoring der Umsetzung des Aktionsplans beteiligt werden.
„Partizipation ohne die Möglichkeit, das Ergebnis zu beeinflussen, ist keine Partizipation, sondern Beobachtung.“
Frieden nur mit Frauen – Beispiele unserer Arbeit
Einsatz für die Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“
Gemeinsam mit unseren Partner:innen und anderen zivilgesellschaftlichen Vertreter:innen tritt medica mondiale auf internationaler und nationaler Ebene dafür ein, dass die Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ in die Praxis umgesetzt wird. Wir fordern politische Entscheidungsträger:innen in Parlamenten, Ministerien und internationalen Institutionen dazu auf, ihren internationalen Verpflichtungen gerecht zu werden. Denn sie haben die Möglichkeit, Politik aktiv zu gestalten und konkrete Fortschritte bei der Umsetzung von Frauenrechten zu erzielen.
Politische Advocacyarbeit für Resolution 1325
Hierfür treten wir in den direkten Dialog mit Entscheidungsträger:innen – zum Beispiel im Rahmen von Anhörungen im Deutschen Bundestag. Wir verfassen Positionspapiere und Stellungnahmen, in denen wir uns mit konkreten Handlungsempfehlungen an die Politik richten oder organisieren Fachveranstaltungen zum Thema.
Einsatz für Frauenrechte im UN-Sicherheitsrat:
Als einflussreiche Akteurin kann die Bundesregierung auf internationaler Ebene einen wichtigen Beitrag leisten, um Frauenrechte zu fördern. Im Rahmen ihrer nicht-ständigen Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat von 2019-2020 hatte sie zum Beispiel die Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ zu einem Schwerpunktthema gemacht.
Interessenvertretung durch zivilgesellschaftliche Frauenrechtler:innen
Gemeinsam mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen hat medica mondiale Deutschlands Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat eng begleitet. Unsere Kernforderung war, dass die Bundesregierung regelmäßig Frauenrechtsaktivist:innen nach New York einlädt, damit diese ihre Anliegen dem Sicherheitsrat direkt vortragen können. Insgesamt haben 21 Aktivist:innen auf Einladung der Bundesregierung als zivilgesellschaftliche Expert:innen vor dem Rat gesprochen und so ihre Rechte und Interessen vertreten.
Erarbeitung des Aktionsplans „Frauen, Frieden und Sicherheit“:
Die deutsche Bundesregierung hat im März 2021 ihren bereits dritten Aktionsplan veröffentlicht. Sie verpflichtet sich damit zu einer Vielzahl von Maßnahmen, um Frauen und Mädchen besser vor sexualisierter Gewalt zu schützen und Überlebende zu unterstützen. Als Teil des zivilgesellschaftlichen Netzwerkes 1325 hat medica mondiale die Erarbeitung des dritten Aktionsplans eng begleitet. Gemeinsam haben wir im Vorfeld ein Positionspapier veröffentlicht und uns mit einer Reihe konkreter Empfehlungen an die Bundesregierung gerichtet. Hierzu haben wir uns außerdem mit den zuständigen Ministerien sowie dem Bundestag ausgetauscht.
Diplomat:innen als Ansprechpersonen für Frauenrechte
Da insbesondere den Auslandsvertretungen eine wichtige Rolle bei der Umsetzung des Aktionsplans zu kommt, haben wir die Bundesregierung aufgefordert verbindliche Ansprechpersonen in Botschaften einzurichten. Denn Diplomat:innen haben die Möglichkeit sich in bilateralen Gesprächen mit anderen Regierungen für Frauenrechte einzusetzen und Aktivist:innen zu schützen. Diese Maßnahme wurde nun erstmals im dritten Aktionsplan verankert.
Beispiele aus unseren Projekten vor Ort – Afghanistan
Die Umsetzung Gewaltschutzgesetzes
Einen besseren Schutz vor Gewalt kann es nur geben, wenn Gesetze konsequent in die Praxis umgesetzt werden. Unsere Partnerorganisation in Afghanistan trat beispielsweise bis zur Machtübernahme der Taliban 2021 viele Jahre lang für die Umsetzung des Gesetzes zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen (EVAW-Law) ein und unterstützte Überlebende durch Rechtsberatung.
Schutz von Frauen als Bedingung für zivilen Wiederaufbau durch Internationale Gemeinschaft
Um diesem Anliegen mehr Nachdruck zu verleihen hat Medica Afghanistan in Kooperation mit anderen Frauenrechtsorganisationen darauf hingewirkt, dass das Gewaltschutzgesetz ebenfalls Bestandteil der Vereinbarung der internationalen Gemeinschaft mit der afghanischen Regierung zum zivilen Wiederaufbau geworden ist – das Sustainable Mutual Accountability Framework. So wurden Zusagen für die Unterstützung Afghanistans durch die Internationale Gemeinschaft auch daran geknüpft, dass Fortschritte beim Schutz vor Gewalt erzielt werden.
Beispiele aus unseren Projekten vor Ort – Kosovo
Überlebende als zivile Opfer des Krieges anerkennen
Damit Überlebende Gewalterfahrungen verarbeiten können, braucht es auch eine gesamtgesellschaftliche Aufarbeitung. Frauenrechtsaktivist:innen in Kosovo haben sich daher bei der Politik dafür eingesetzt, dass Überlebende sexualisierter Kriegsgewalt per Gesetz als zivile Opfer des Krieges anerkannt werden. Unter den Aktivist:innen waren auch Mitarbeiter:innen unserer Partnerorganisationen Medica Gjakova und Kosovarian Rehabilitation Center for Torture Victims (KRCT). Erfolg: Seit 2018 können Überlebende nun eine monatliche Rente von ca. 350 Euro beantragen.
Meilenstein: Rente für Überlebende sexualisierter Kriegsgewalt
Dies ist ein wichtiges Zeichen der Anerkennung des erlebten Unrechts. Die kosovarische Politik und Gesellschaft übernimmt so Verantwortung auch für den Umgang mit den Folgen der Gewalt. Überlebende sollen entstigmatisiert werden und notwendige Unterstützung erhalten. Medica Gjakova und KRCT begleiten Überlebende bei der Antragstellung und beraten sie rechtlich sowie psychosozial.