Wir unterstützen Frauen und Mädchen in Kriegs- und Krisengebieten.
Suche
07. Dezember 2023 - Interview

Monika Hauser: „Ich bin stolz auf unser starkes Bündnis mutiger Frauen.“

Monika Hauser hat die Frauenrechtsorganisation medica mondiale vor 30 Jahren gegründet. Im Interview blickt sie auf Erfolge unserer Arbeit zurück, die sie besonders stolz machen. Gleichzeitig blickt sie mit Sorge auf aktuelle Konflikte und die damit verbundene sexualisierte Kriegsgewalt.

Portraitfoto von Monika Hauser. Sie trägt eine Jeansjacke und ein dunkelrotes Oberteil.

2023 stand die Arbeit von medica mondiale vor allem im Lichte des 30-jährigen Jubiläums. Was macht es mit dir, wenn du daran denkst, dass dein Team schon seit 30 Jahren für Frauenrechte kämpft?

Monika Hauser: Ich bin sehr stolz. Seit 1993 stehen wir an der Seite von Frauen, die sexualisierte Gewalt erleben und erlebt haben. Wir begleiten und unterstützen sie gemeinsam mit unseren Partner:innen. Und wir haben viel geschafft in dieser Zeit. Seit den 1990er Jahren veränderte sich langsam der gesellschaftliche Blick auf sexualisierte Kriegsgewalt: Die Wendepunkte waren die Konflikte in Bosnien und Herzegowina und Ruanda und die damit verbundenen Genozide. Sexualisierte Kriegsgewalt erhielt erstmals die Aufmerksamkeit einer breiteren internationalen Öffentlichkeit. Seitdem tragen Aktivist:innen wie wir und unsere Partner:innen weltweit dazu bei, das Thema auf die internationale Agenda zu bringen. Mit Erfolg!

Worauf bist du besonders stolz?

Monika Hauser: Ich bin stolz auf unser starkes Bündnis mutiger Frauen, die jeden Tag für von sexualisierter Gewalt Betroffene arbeiten. Unseren unerschütterlichen Einsatz für Frauenrechte, den Mehrebenenansatz, den wir für Überlebende entwickelt haben. Denn: Um nachhaltigen Wandel zu bewirken, müssen Veränderungen auf vielen verschiedenen Ebenen ineinandergreifen: auf der individuellen, sozialen, institutionellen und politischen Ebene. Dabei begleitet uns von Beginn an unser feministisches, soziopolitisches Trauma-Verständnis. Bewusst haben wir uns mit diesem niedrigschwelligen Ansatz gegen den klassischen klinischen, medizinisch-psychiatrischen Ansatz entschieden. Denn: Wir wissen, dass auch die sozialen, politischen und gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen die Betroffene lebt, eine entscheidende Rolle spielen. Und nicht zuletzt bin ich stolz darauf, dass wir als eine der ersten internationalen Nichtregierungsorganisationen eine feministische Haltung mit der interdisziplinären Projektarbeit vor Ort verbinden.

Und trotzdem sehen wir immer wieder, dass strukturelle Diskriminierung und patriarchale Machtverhältnisse als Ursachen der Gewalt weiterhin bestehen. Anti-feministische Bewegungen und Initiativen, die gewaltvolle Strukturen stärken wollen, nehmen sogar zu. Was motiviert dich weiterzumachen?

Monika Hauser: Wir müssen weitermachen, wenn wir in einer Welt leben wollen, in der Frauen gleichberechtigt und frei von Gewalt leben sollen – es gibt ja gar keine Alternative zum Handeln! Abgesehen von diesen Rückschlägen, gibt es auf politischer Ebene auch Fortschritte. Übergeordnet haben wir in 30 Jahren – gemeinsam mit internationalen Verbündeten – umfangreiche, internationale Regelwerke erstritten, so die Agenda „Frauen, Frieden, Sicherheit“ und die Istanbul-Konvention. Auch die Gesetzgebung für die internationale Strafverfolgung und Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in bewaffneten Konflikten hat sich verbessert. Gleichzeitig wurden kaum Täter verurteilt. Für all diese Fälle gilt: Die Grundlagen sind da, doch es mangelt an politischem Willen und praktischer Umsetzung, vor allem mit Blick auf die Bedarfe von Betroffenen.

Welche Ereignisse haben dich 2023 besonders begleitet oder berührt?

Monika Hauser: Vor allem berühren mich die Nachrichten der Partner:innen aus unseren Projekten: Wenn ich lese, unter welch schwierigen Bedingungen die Kolleg:innen in der Demokratischen Republik Kongo, in Afghanistan oder im Irak täglich arbeiten, wie sie unter Krieg und Gewalt wichtige Unterstützung leisten – das ist großartig! Gleichzeitig sind sie es, die häufig genug Bedrohungen und Verleumdungen ausgesetzt sind! Deshalb hat mich die Veröffentlichung der Leitlinien zur feministischen Außenpolitik gefreut. Solch eine Politik haben wir schon lange gefordert. Solch eine Politik haben wir schon lange gefordert. Sie sind eine Chance, aber das Wichtigste auch an diesem Konzept: Es muss umgesetzt werden. Das werden wir weiter eng beobachten.

Was hat dich jenseits der direkten Projektarbeit beschäftigt?

Monika Hauser: Auch aus Regionen, in denen medica mondiale nicht vor Ort ist, erreichen uns Berichte von massiver sexualisierter Kriegsgewalt, die uns tief betroffen machen, zum Beispiel aus dem Sudan, Äthiopien und Eritrea. Mich und uns als Organisation haben auch die schockierenden Nachrichten aus Israel am und nach dem 7. Oktober sehr betroffen gemacht. Wir verurteilen den terroristischen Angriff der Hamas und die sexualisierte Gewalt gegen Frauen in Israel auf das Schärfste. Unsere volle Solidarität und unser Mitgefühl gelten den Überlebenden und allen Betroffenen, ihren Familien sowie Hinterbliebenen. medica mondiale kämpft seit mehr als 30 Jahren gegen sexualisierte Gewalt und -Kriegsgewalt. Wir wissen aus langjähriger Erfahrung: Das Wichtigste ist jetzt, die Überlebenden zu unterstützen. Überlebende sexualisierter Gewalt brauchen sofort und umfassend Schutz sowie stress- und traumasensible medizinische und psychosoziale Unterstützung. Ihre Bedarfe und Sicherheit müssen im Fokus stehen. Das muss Priorität sein.

Und was sagst du zur Situation in Gaza?

Monika Hauser: Wir blicken mit großer Sorge auf das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza, darunter insbesondere auf die Situation von Frauen und Kindern. Der Krieg in Gaza hat bereits tausende Menschen das Leben gekostet, die humanitäre Krise verschärft sich von Tag zu Tag. Das Leid der Zivilbevölkerung muss beendet werden. Dazu gehört der sofortige Zugang zu humanitärer Hilfe, zu sauberem Trinkwasser, zu Lebensmitteln und zu medizinischer Versorgung sowie Schutz vor Gewalt, besonders für Frauen und Kinder. Unsere Solidarität gilt allen, die von dem anhaltenden Konflikt betroffen sind und unser Mitgefühl allen, die Familie und Freund:innen in den betroffenen Gebieten haben.