Medica Liberia: „Wir schieben den Wandel an.“
Yah und Elizabeth, ihr arbeitet schon viele Jahre in Liberia, um Frauenrechte zu stärken. Dass eure Arbeit wirkt, zeigt auch eine Studie. Wie erklärt ihr euren Einfluss?
Yah Parwon: Während des 14-jährigen Bürgerkriegs in Liberia wurde eine große Zahl von Frauen und Kindern Opfer sexualisierter Gewalt. Während des gesamten Konflikts wurde nur wenig getan, um sexualisierte Gewalt zu verhindern oder die Überlebenden in Liberia direkt zu unterstützen. Nach dem Krieg nahmen wir direkten Kontakt zu Überlebenden sexualisierter Gewalt auf und haben seitdem ein umfangreiches Netzwerk für die Zusammenarbeit aufgebaut. Leider sind Frauen und Kinder trotz des vor zwei Jahrzehnten beendeten Bürgerkriegs nach wie vor von Gewalt betroffen, und das Angebot an Unterstützungsangeboten ist nach wie vor begrenzt.
Wie wichtig ist Vertrauen bei eurer Arbeit?
Yah Parwon: Strukturen in den Dörfern zu gestalten und zu festigen – das ist wichtig und geht nur, indem wir das Vertrauen der Menschen gewinnen. Das hat den meisten Einfluss auf unsere Arbeit vor Ort. Ohne Vertrauen nimmt niemand unsere Angebote wahr. So arbeiten wir mit den Gemeinden zusammen und setzen uns gemeinsam für eine gewaltfreie Gemeinschaft ein.
Elizabeth Greene: Unser Ansatz ist ganzheitlich. Das ist uns sehr wichtig. Der traumasensible Ansatz und das Empowerment der Überlebenden ist unerlässlich. Zu uns können Betroffene sexualisierter Gewalt kommen und unsere konkreten Angebote in Anspruch nehmen. Oder sie sprechen mit uns über die Strukturen, in denen wir leben. Auch das kann helfen. Die Bedürfnisse und Wünsche von Überlebenden stehen an erster Stelle.
Was macht die Arbeit von Medica Liberia so besonders?
Yah Parwon: Unser ganzheitlicher, traumasensibler Ansatz. Wir arbeiten, um sexualisierte Gewalt zu verhindern und gehen der Frage nach, warum sie überhaupt entsteht. In dieser Welt voller Gewalt und Krisen müssen wir die Ursachen für Gewalt bekämpfen – und währenddessen sorgen wir dafür, dass Überlebende Zugang zu jeder Unterstützung haben, die sie brauchen. Wir arbeiten sowohl an den vermeintlich kleinen Dingen in den Dörfern, als auch mit anderen Organisationen auf nationaler Ebene.
Elizabeth Greene: Wir sind froh, dass wir verschiedene Angebote haben, ob rechtliche Beratung oder psychosoziale Unterstützung. Das ist das, was uns einzigartig macht in Liberia.
Widerstand oder sogenannte Backlash-Bewegungen – also Rückschläge – werden in Berichten und Studien aufgezeigt. Das bedeutet: Es werden zunächst Verbesserungen beobachtet, dass z.B. mehr sexualisierte Gewalt gemeldet wird, und anschließend gibt es weniger Meldungen. Beobachtet ihr das ebenfalls?
Yah Parwon: Diese Beobachtungen sind schwer einzuordnen. Ja, es gibt eine Studie, die zeigt, dass es zunächst sehr viele Meldungen von sexualisierter Gewalt gab und später wieder weniger. Aber die Frage ist: Was wird gemessen? Der soziale Wandel ist da und die Antwort aus den Gemeinschaften ist da. Ein großer Teil unserer Arbeit war und ist, dass wir über Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit gegenüber sexualisierter Gewalt in den Gemeinschaften sprechen und dafür sorgen, dass Überlebende wissen, wo sie hingehen und was sie tun können, wenn sie Gewalt erlebt haben.
Unsere Erfahrung ist, dass es Zeit braucht, bis genug Vertrauen aufgebaut ist, um über das Thema zu sprechen und Fälle anzuzeigen. Diese langfristige Arbeit ist wichtig: Die Gemeinschaft muss sich engagieren, um sexualisierte Gewalt zu bekämpfen. Aber es dauert: Wir sprechen mit den Menschen, hören ihnen zu, und vor allem: Frauen müssen empowered werden, um ihre Stimme gegen sexualisierte Gewalt zu erheben. Das ist eine Achterbahnfahrt. Auch auf nationaler Ebene ist es ein Vor und Zurück. Wir müssen aufpassen, dass Gesetze nicht zu Lasten der Frauen, z.B. zum Thema Schwangerschaftsabbruch, zurückgenommen werden.
Elizabeth Greene: Es geht auch um kulturellen Glauben – es braucht Zeit, um Menschen von anderen Ansichten zu überzeugen. Als wir mit Medica Liberia starteten, haben wir nur mit Frauen gearbeitet. Wir haben gemerkt, dass wir das Konzept umstellen müssen, um alle Menschen zu erreichen. In unserem neuen Projekt arbeiten wir mit Frauen und Männer gleichberechtigt zusammen. Männer müssen die Folgen sexualisierter Gewalt selbst hören – und die Alternativen.
Was gibt euch Hoffnung?
Elizabeth Greene: Die Umsetzung unserer Angebote. Die Arbeit in unserem Team. Den Frauen Hoffnung zu geben. Wenn ich sehe, dass Frauen zu uns kommen und uns ihre Geschichte erzählen, sich öffnen – dass sie dann bei uns Unterstützung erhalten und gestärkt daraus hervorgehen. Diese Kraft sehe ich und das macht mich stolz.
Yah Parwon: Die Zusammenarbeit mit den Gemeinschaften gibt mir Hoffnung. Dass wir gemeinsam den Wandel anschieben und beobachten und mit verschiedenen Gruppen daran arbeiten.