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01. Juni 2023 - Meldung

Ruanda: Solidarisch gegen Ausgrenzung

Hunderttausende Ruander:innen wurden während des Genozids 1994 vergewaltigt. Bis heute sind die Folgen in Familien und Gemeinschaften spürbar. Das Team unserer Partnerorganisation SEVOTA will den Kreislauf der Gewalt beenden: mit psychosozialer Unterstützung, ganzheitlicher Stärkung und dem Aufbau von Selbsthilfestrukturen.

Eine Gruppe von Frauen tanzt. Sie lachen.

„Durch den Zusammenhalt wurden wir geheilt, jetzt ist die Entwicklung unser Ziel“ haben die Frauen auf ein großes Plakat gedruckt. Sie sind Mitglieder einer Solidaritätsgruppe von SEVOTA. Gemeinsam bauen sie Gemüse an, züchten Hühner oder schneidern Kleider. Sie besprechen miteinander Probleme und feiern Erfolge. Und sie sind füreinander da, wenn die Erinnerungen zu schmerzhaft werden. Denn die meisten der Frauen haben während des Völkermordes 1994 sexualisierte Gewalt erlebt. Viele wurden dabei schwanger, unzählige ausgegrenzt. Bei SEVOTA fanden sie eine neue Gemeinschaft.

Ihr Plakat ist Botschaft und Motivation zugleich. Motivation für ihre tägliche Arbeit auf dem Feld oder hinter der Nähmaschine. Und eine Botschaft an alle: Das Ziel ist die Entwicklung hin zu einer friedlichen Gesellschaft.

30 Jahre nach dem Genozid: Frieden für eine traumatisierte Gesellschaft

Vor fast 30 Jahren ermordeten radikale Hutu in Ruanda mehr als 800.000 Tutsi, gemäßigte Hutu und andere Oppositionelle. Hunderttausende Frauen und Mädchen wurden vergewaltigt. Die Brutalität der Täter:innen hinterließ eine fragmentierte und nachhaltig traumatisierte Gesellschaft.

Menschen setzen Vergewaltigungen weltweit gezielt ein, um Gemeinschaften zu zerstören. Denn unverarbeitet lebt die Gewalt auch in Friedenszeiten weiter. Nicht nur in den Albträumen der Überlebenden, in ihren seelischen und körperlichen Narben, sondern auch im Leben der „Kinder des Krieges“, die durch Vergewaltigung gezeugt wurden. Sie werden diskriminiert und oft ausgegrenzt. Oft werden die Erlebnisse als transgenerationale Traumata zudem an Kinder und Enkelkinder übertragen.

Überlebende sexualisierter Gewalt ganzheitlich stärken

Das Team von SEVOTA will den Kreislauf der Gewalt durchbrechen. Wie bei keinem anderen Verbrechen geht bei einer Vergewaltigung oder anderer sexualisierter Gewalt die Schande der Tat vom männlichen Täter auf das Opfer über. Stigmas und Tabus machen es vielen Frauen schwer, ihre Erlebnisse zu verarbeiten. Deshalb setzen die Mitarbeiter:innen von SEVOTA auf ganzheitliche Stärkung:

  • Frauenforen, die von psychosozialen Fachkräften geleitet werden, bieten einen geschützten Raum, in dem Überlebende Solidarität erfahren und Kraft schöpfen können.
  • Durch psychosoziale Einzel- und Gruppentherapien lernen Mütter und ihre Kinder, die tiefen seelischen Wunden in ihr Leben zu verarbeiten.
  • Mit Krediten und Know-How steht SEVOTA den Frauen bei der Gründung von Kleinunternehmen zur Seite.
  • Bei regelmäßigen „Empowerment-Wochenenden“ werden Kinder psychosozial gestärkt. Sie thematisieren eigene Liebesbeziehungen, Sexualität und positive Elternschaft.
  • SEVOTA unterstützt die „Kinder des Kriegs“ bei der Gründung von Selbsthilfegruppen.

Stigma durchbrechen und Geschlechterrollen hinterfragen

Derzeit nehmen mehr als 400 Frauen und 200 ihrer mittlerweile erwachsenen, aus der Gewalt heraus geborenen Kinder an Projektaktivitäten teil. Ihre Ehemänner sind einbezogen. SEVOTA bietet Workshops an, in denen sie – mal unter sich, mal zusammen mit ihren Frauen – Strategien lernen, um Konflikte zu lösen und einen Raum finden, um Geschlechterrollen zu diskutieren. Mit einer Kampagne zu positiver Männlichkeit will das Team weitere Männer ansprechen.

Mit anderen Organisationen setzt sich SEVOTA zudem dafür ein, dass die Überlebenden sexualisierter Gewalt während des Genozids eine staatliche Entschädigung erhalten. Damit würde das Leid der Frauen offiziell anerkannt – und das Tabu ein Stück weiter gebrochen.

Erschienen im memo 2023/1