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07. Februar 2019 - Interview

Interview: Bilanz über ein Jahr Kriegsrente für vergewaltigte Frauen im Kosovo

Seit Februar 2018 können Frauen und Mädchen, die während des Kosovo-Krieges 1998/1999 vergewaltigt wurden, eine Rente von monatlich 230 Euro beantragen. Voraus ging ein jahrelanger Kampf von Frauenrechtsorganisationen. Auch mittlerweile im Ausland lebendende Betroffene haben Anspruch auf die Entschädigung. Wir sprachen mit Mirlinda Sada, Direktorin unserer kosovarischen Partnerorganisation Medica Gjakova, über das Verfahren. Medica Gjakova ist eine von vier Nichtregierungsorganisationen (NRO), die Überlebende beim Ausfüllen der Formulare beraten und sie psychologisch bei diesem aufrüttelnden Prozess begleiten.

Wie fällt die erste Bilanz aus?

Mirlinda Sada: „Bis 31. Dezember 2018 wurden insgesamt 900 Anträge eingereicht, darunter auch einige von Männern. 190 hat die eigens dafür eingerichtete Kommission bislang bewilligt, 100 abgelehnt. Bei den von Medica Gjakova vorgelegten 166 Gesuchen sieht es so aus: 32 Frauen und ein Mann erhielten positive Bescheide, drei eine Absage. Wir haben Beschwerde eingelegt, mit dem Ergebnis, dass die drei Betroffenen zu Gesprächen geladen wurden. Nur eins war erfolgreich. In den beiden anderen Fällen hat Medica Gjakova beim zuständigen Gericht Klage eingereicht. Jede dieser Absagen schmerzt mich, denn alle Frauen ringen mit sich und ihren Familien, ob sie den Antrag überhaupt stellen sollen.“

Was läuft gut und wo hakt es bei der Beantragung der Entschädigungsrente?

Mirlinda Sada: „Positiv finde ich: Die Frauen können auswählen, von wem sie sich bei der Antragstellung beraten lassen – von einer NRO oder einem kommunalen Büro. Allerdings hören wir immer wieder, das staatliche Personal sei wenig geschult oder gar traumasensibel im Umgang mit den Betroffenen. Bedauerlich aber erwartbar ist, dass die Rente Konflikte in den Familien auslöst. Zum Beispiel werden Frauen unter Druck gesetzt, weil ihre Angehörigen befürchten, die 20 Jahre lang verschwiegene Vergewaltigung könnte mit dem Rentenbescheid bekannt werden. Dabei ist es so wichtig, das Unrecht von damals endlich anzuerkennen! In den drei bis fünf Stunden dauernden Beratungsgesprächen merken wir: Die Frauen wollen sprechen und den Stein auf der Brust loswerden.“

An welcher Stelle im Verfahren muss nachgebessert werden?

Mirlinda Sada: „Erstens fehlen Kontrollmechanismen für die Kommission, die über die Anträge entscheidet. Zweitens nennt das Gremium bei einer Absage keine Gründe. Drittens dauert die Bearbeitung viel zu lang. Die letzte uns bekannte Entscheidung der Kommission bezieht sich auf einen im März 2018 gestellten Antrag. Die Betroffenen haben außerdem nur fünf Jahre Zeit, also bis Anfang 2023, um ihre Anträge zu stellen. Wir werden über die Medien Druck ausüben auf die Regierung. Das lange Warten und die Ungewissheit sind unerträglich für die Frauen.“
 

Beratung bei der Antragstellung für die Entschädigung:

Medica Gjakova
Mail: medicagjakova@gmail.com
Telefon: +383 390 326 812
www.medicagjakova.org
www.facebook.com/medica.gjakova

Antragsformular: https://mpms.rks-gov.net/wpdm-package/formulari-per-aplikim-per-njohjen-e-statusit-te-viktimave-pdf/
 

Hintergrund

Im März 2014 verabschiedete das Parlament im Kosovo eine Gesetzesänderung. Sie integriert Überlebende sexualisierter Kriegsgewalt in die bestehende Rentenregelung „Status of Rights of Martyrs, Invalids, Veterans, Members of KLA, Civilian Victims of War and their families“. Frauenrechtsaktivistinnen hatten schon seit Jahren gefordert, die Frauen und Mädchen als zivile Kriegsopfer anzuerkennen. Sechs kommunale Büros und vier zivilgesellschaftliche Organisationen beraten Betroffene dabei. Medica Gjakova ist eine davon.

Kurz nach Kriegsende 1999 eröffnete die Kölner Frauenrechtsorganisation medica mondiale ein Frauentherapiezentrum in Gjakova im Südwesten des Kosovo. 2011 entstand eine zweite Organisation, Medica Gjakova. Ihre Mitarbeiterinnen unterstützen Überlebende von (Kriegs-)Gewalt medizinisch, psychosozial und rechtlich.

Autorin: Mechthild Buchholz, Pressesprecherin bei medica mondiale

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