Bosnien und Herzegowina: Rechtliche Anerkennung von Kindern aus Kriegsvergewaltigungen
Der vom Parlament der Föderation von Bosnien und Herzegowina am 26. Juli 2022 einstimmig verabschiedete Gesetzesentwurf stand für eine Dauer von 45 Tagen zur öffentlichen Diskussion. In der Debatte ging es darum, wie das Gesetz verbessert und implementiert werden kann, bevor schließlich seine Verabschiedung erfolgt. Besonders ist hierbei, dass nicht nur Überlebende, sondern auch ihre aus Kriegsvergewaltigung geborenen Kinder rechtlich anerkannt werden und sie dadurch mehr Sichtbarkeit erhalten.
Historischer Moment – Kinder aus Kriegsvergewaltigungen in Bosnien erstmals rechtlich anerkannt
Nach jahrelangen Bemühungen um die Anerkennung ihrer Existenz, ihres Status sowie den Folgen, mit denen Kinder aus Kriegsvergewaltigungen in Bosnien und Herzegowina leben müssen, wurden sie erstmals am 14. Juli dieses Jahres mit der Verabschiedung des Gesetzes für zivile Kriegsopfer im Distrikts Brčko rechtlich anerkannt. Auch weltweit ist dies einer der ersten Fälle der rechtlichen Anerkennung von Kindern aus Kriegsvergewaltigungen. Nun besteht Hoffnung, dass auch die Landesteile Republika Srpska sowie die Föderation Bosnien und Herzegowina mit entsprechenden Gesetzesverabschiedungen nachziehen.
„Wir als ,Children born of war‘ müssen als zivile Kriegsopfer definiert werden, um Leistungen vom Staat zu erhalten. Das bedeutet das Schaffen gleicher Möglichkeiten und Vorteile, die Kinder gefallener Soldaten und Kriegsveteranen seit Kriegsende hatten. Dieses Gesetz wird in jeder Hinsicht Vorteile bringen. Ich hoffe, dass wir diese werden nutzen können, denn darauf haben wir unser gesamtes Leben lang gewartet.”
Öffentlichkeitsarbeit zugunsten der betroffenen Frauen und Kinder
Damit möglichst viele Empfehlungen von Expert:innen in das neue Gesetz und die damit verbundene Umsetzung einfließen, leisten unsere Partnerorganisationen Medica Zenica, Vive Zene und Forgotten Children of War Association gemeinsam mit TRIAL International Bosnien und Herzegowina weiterhin wichtige Lobbyarbeit. Sie haben sich dafür eingesetzt, dass die Gesetzesänderung überhaupt im Parlament diskutiert wurde und konkrete Vorschläge eingereicht, welche Rechte mit der gesetzlichen Anerkennung überhaupt verbunden sind. Sie fordern zum Beispiel den Anspruch auf kostenlose psychosoziale Beratung, kostenlose Krankenversicherung oder die Verbesserung ihrer Beschäftigungsmöglichkeiten.
„Die ganze Welt sollte wissen, dass die Belange der überlebenden Frauen und der aus Vergewaltigung geborenen Kinder jenseits politischer Ideologien liegen.”
Denn nach wie vor erleben sowohl Überlebende als auch Kinder aus Kriegsvergewaltigungen Stigmatisierung, Exklusion und Benachteiligung. Aktuell werden die Kommentare und Ergänzungen, die durch die öffentliche Diskussion des Gesetzesentwurfs gesammelt wurden, eingearbeitet. Im Anschluss soll das Gesetz verabschiedet werden. Aufgrund der anstehenden Wahlen in Bosnien und Herzegowina kann sich dieser Prozess allerdings noch in die Länge ziehen.
Frauenrechtsorganisationen: Schlüssel zum gesellschaftlichen Wandel
Seit vielen Jahren setzen sich unsere Partnerorganisationen in Südosteuropa unter anderem mittels politischer Advocacy-Arbeit dafür ein, dass Überlebende sexualisierter Kriegsgewalt und ihre Kinder Gerechtigkeit erfahren und ihre Stigmatisierung ein Ende findet.
„Frauenrechtsorganisationen sind der Schlüssel zum gesellschaftlichen Wandel in Bosnien und Herzegowina. Sie werden ihre Lobbyarbeit und Aktivitäten trotz aller Schwierigkeiten fortsetzen.“
Beharrlicher Einsatz für die Rechte von Überlebenden und ihrer Kinder
Aufgrund der unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen in den einzelnen Landesteilen ist es für Betroffene weiterhin sehr mühsam, Rentenzahlungen, kostenlose medizinische Behandlungen und andere Unterstützung zu erhalten. Die rechtliche Anerkennung von Kindern, die aus Vergewaltigungen geboren wurden, ist ein wichtiger Meilenstein in diese Richtung:
„Frauenrechtsorganisationen sind sich bewusst, dass jedes Wahljahr zusätzliche Kraft und Zeit erfordert, aber sie werden den Kampf für die Rechte von Überlebenden und Kindern, die aus Kriegsvergewaltigungen geboren wurden, nicht aufgeben. Wir wollen erreichen, dass sie ihre Rechte verwirklichen können und sich in ihrer Familie und Gemeinschaft ohne Diskriminierung und Stigmatisierung respektiert fühlen“,
sagt Sabiha Husic, Direktorin von Medica Zenica.