Stress- und Traumadynamiken bei Mitarbeitenden
Mitarbeiter:innen von Organisationen, die in Gewaltkontexten arbeiten, beispielsweise zu den Themen Flucht, häusliche Gewalt oder Kriegsgewalt, sind häufig langanhaltenden und hohen Stressniveaus ausgesetzt – sei es durch ihren direkten Kontakt mit Gewaltbetroffenen oder das Lesen oder Hören von Gewalttaten. In Postkonfliktgebieten haben oftmals Mitarbeiter:innen selbst Gewalt erfahren. Möglicherweise sind sie auch Bedrohungen oder Beleidigungen ausgesetzt, weil sie sich öffentlich und auf politischer Ebene gegen Gewalt positionieren.
Stress- und Traumadynamiken können sich in kollektiven Verhaltensmustern widerspiegeln
Stress- und Traumasymptome können sich unter den Mitarbeiter:innen einer Organisation übertragen. Verantwortlich sind dafür unter anderem Spiegelneuronen, die im Gehirn anregen, dass Menschen im Kontakt in einen ähnlichen emotionalen Zustand kommen. Im Fall von Stress überträgt sich häufig die starke Aktivierung des autonomen Nervensystems, das bei chronischem Stress die Form einer dauerhaften Übererregung (Hyperarousal) annehmen kann. In Organisationen, deren Mitarbeitende häufig Stress bis hin zu traumatischem Stress ausgesetzt sind, können sich durch diese Übertragungsprozesse kollektive Verhaltensmuster etablieren, die Stress- und Traumadynamiken widerspiegeln.
Übermäßige Aufregung, Täter-Opfer-Zuschreibungen, Spaltungstendenzen, verminderte Empathie
Das kann bedeuten, dass auf kleine Probleme mit übermäßiger Aufregung reagiert wird oder es ungewöhnlich schnell zu Täter-Opfer-Zuschreibungen und Spaltungstendenzen in Arbeitsteams kommt. Konflikte erscheinen oft existentiell. Das steht ruhiger und besonnener Projektarbeit im Wege. Auch verringern kollektive Stress- und Traumadynamiken die Ausprägung von Sensibilität und Empathie im Miteinander. Dem zugrunde liegt unter anderem die Funktionsweise von Kortisol und Adrenalin: Bei hoher Konzentration dieser Stresshormone ist die Aufmerksamkeitsspanne eingeengt (Tunnelblick), und der Organismus befindet sich in Alarmbereitschaft. Die soziale und emotionale Wahrnehmungsfähigkeit ist reduziert.
Quelle: "Ein solidarischer, stress- und traumasensibler Ansatz zur multi-sektoriellen Unterstützung von Gewaltüberlebenden" von Karin Griese & Alena Mehlau, medica mondiale. Erschienen in: Trauma (1/2016)