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13. Februar 2023 - Interview

Neue Leiterin des Regionalbüro im Nordirak: „Jede Erfahrung einer Überlebenden ist wichtig"

Wedad Ibrahim leitet seit diesem Jahr das Regionalbüro in der Autonomen Region Kurdistan im Norden des Irak. Sie selbst ist Überlebende sexualisierter Gewalt und hat bereits vor ihrer Arbeit für medica mondiale Erfahrung in der Projekt- und Zusammenarbeit mit Organisationen gesammelt. Dieses Wissen setzt sie nun im Nordirak ein.

Eine Frau steht auf einem Balkon und lächelt in die Kamera.
Wedad Ibrahim ist die neue Leiterin des KRI-Regionalbüros.

Die Autonome Region Kurdistan (Kurdistan Region of Iraq – KRI) im Nordirak ist eine Region, die nicht zur Ruhe kommt. Bewaffnete Konflikte und politische Instabilität beeinflussen das Leben der Menschen, besonders von Frauen und Mädchen. Geflüchtete aus Syrien und innerhalb des Landes – nun auch jene, die aus Iran fliehen – sind verstärkt von sexualisierter Gewalt bedroht.

In dieser Atmosphäre arbeitet das Team von medica mondiale schon viele Jahre mit lokalen Frauenrechtsorganisationen zusammen. Nun verstärkt Wedad Ibrahim das Regionalbüro in KRI. Die 39-jährige Feministin weist viel Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Hilfs- und Nichtregierungsorganisationen auf, hat zuvor von Tunesien, Ägypten und Jordanien für feministische Projekte gearbeitet.

Welche Verbindung hast du zu feministischen Themen?

Wedad Ibrahim: Eine Erfahrung, die mich sehr geprägt hat, war, dass ich in Ägypten vier Jahre eine feministische Schule besucht habe. Dort habe ich mich in Nachmittags- oder Tageskursen mit feministischer Literatur, Filmen und Diskussionen beschäftigt und habe mit anderen jungen Frauen über Frauenrechte diskutiert. So kamen verschiedene Perspektiven zusammen. Dieses Konzept habe ich in meiner Arbeit aufgenommen und vier feministische Schulen in Jordanien eröffnet. Es sind großartige informelle Umgebungen, um zu lernen eigene Entscheidungen zu treffen und den Alltag mit der globalen Welt zu verknüpfen.

Wieso arbeitest du jetzt für medica mondiale?

Wedad Ibrahim: Als feministische Organisation passt medica mondiale gut zu meinen Werten. Außerdem gab es in meiner vorigen Arbeit zu Libyen viele Ähnlichkeiten zur Situation in KRI, zum Beispiel die Sicherheitslage. Und ich habe gefühlt, dass ich bereit, bin eine Führungsposition zu übernehmen.

Und was gibt es noch für einen Grund?

Wedad Ibrahim: Ich bin selbst Überlebende sexualisierter Gewalt. Das Thema ist mir entsprechend wichtig. Ich habe selbst eine Reise hinter mir, in der ich heilen konnte. Dabei habe ich erfahren, wie Überlebende es schaffen, sich nicht mehr hilflos, sondern stark zu fühlen – und sich gegenseitig empowern. Für mich war das eine wichtige Transformation vom hilflosen Kind zu einer stolzen Frau.

Wie spiegelt sich diese Erfahrung in deiner Arbeit wider?

Wedad Ibrahim: Frauen können Frauen helfen, Überlebende können Überlebenden helfen. Sie können sich von ihren Erlebnissen erholen und die Frauen werden, die sie sind. Das ist etwas, woran ich glaube und was ich vorantreiben will. Denn ich selbst habe entschieden, glücklich zu sein – mit meiner Vergangenheit. Also können andere Frauen das auch. Wir können das Trauma überwinden. Gleichzeitig möchte ich Wissen verbreiten, warum diese Gewalt geschieht.

Was erwartest du von deiner Arbeit in KRI?

Wedad Ibrahim: Eine Menge: Ich werde mit Überlebenden eines monströsen Systems arbeiten. Damit meine ich: Mit Frauen, die von Mitgliedern des sogenannten Islamischen Staats vergewaltigt, missbraucht, gefoltert wurden. Das ist für mich das Monsterlevel. Jede Erfahrung einer Überlebenden ist wichtig. Davon kann ich viel lernen.

Wie kümmerst du dich in solch einem schwierigen Arbeitsumfeld um dich selbst?

Wedad Ibrahim: Mit einem Trauma kommt das Risiko einer Retraumatisierung. Ich habe gelernt, wie ich mich um sich selbst kümmern kann: Mit Hilfe von Kolleg:innen und Freund:innen, nach Hilfe fragen, Unterstützung von der Familie – und wenn der Punkt gekommen ist, an dem das nicht mehr hilft, müssen wir eine Therapie aufsuchen. Wichtig für mich ist auch mindestens ein freier Tag in der Woche, an dem ich mich nur um mich selbst kümmern kann – nicht um meinen Sohn und nicht um meine Arbeit. Ich gehe dann aus, gehe einkaufen, entspanne oder schaue einen Film. Das ist von entscheidender Bedeutung.