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17. Juni 2020 - Meldung

COVID-19 hat besonders drastische Auswirkungen auf das Leben von Frauen in Krisenregionen

Pressemitteilung: Köln, 17. Juni 2020. Welttag zur Beseitigung sexueller Gewalt in Konflikten am 19. Juni: Corona-Pandemie verstärkt bestehende Ungleichheiten und insbesondere die Benachteiligung von Mädchen und Frauen; unter anderem in Bosnien und Herzegowina, Afghanistan und Liberia. Regierungen weltweit und auch die Bundesregierung müssen Frauenrechtsorganisationen stärker unterstützen.

Die Corona-Pandemie hat besonders drastische Auswirkungen auf die Lebenssituation von Mädchen und Frauen in Krisen- und Kriegsregionen. „Krisen wie die Corona-Pandemie verstärken bestehende Ungleichheiten und insbesondere die Benachteiligung von Mädchen und Frauen. In Bosnien und Herzegowina, Afghanistan und Liberia haben sexualisierte und häusliche Gewalt deutlich zugenommen. Die gesundheitliche Versorgung von Mädchen und Frauen wurde eingeschränkt, und sie verlieren häufiger als sonst ihre Arbeit“, sagt Monika Hauser anlässlich des Welttags zur Beseitigung sexueller Gewalt in Konflikten am 19. Juni.

„Die Arbeit von Frauenrechtsorganisationen ist gerade in Krisenzeiten wichtiger denn je. medica mondiale fordert Regierungen weltweit und auch die Bundesregierung dazu auf, Menschenrechtsverteidigerinnen zu unterstützen, um die Rechte von Frauen weltweit einzuhalten und durchzusetzen – während der Corona-Krise und auch danach“, fordert Monika Hauser.

Jamila Afghani, Afghanistan: "Das führt zu vermehrtem Stress und entlädt sich allzu oft in Gewalt zu Hause.“

Zum Beispiel in Afghanistan: „Für viele Frauen in Afghanistan war schon vor der Pandemie die eigene Wohnung der gefährlichste Ort“, sagt Jamila Afghani, Direktorin von Medica Afghanistan in Kabul. Ihre Beobachtung: „Viele Männer haben während der Corona-Krise deutlich weniger verdient oder gar ihren Job verloren. Das führt zu vermehrtem Stress und entlädt sich allzu oft in Gewalt zu Hause.“ Medica Afghanistan berät Frauen, die unter anderem von häuslicher Gewalt bedroht sind oder diese überlebt haben. Doch diese Arbeit wurde durch den Lockdown in Afghanistan stark eingeschränkt, zum Beispiel mussten Frauen-Beratungsstellen in Krankenhäusern schließen. Diese waren oft der erste und einzige Berührungspunkt zu betroffenen Frauen. „Wir können die Frauen nur noch telefonisch beraten, doch das reicht oft nicht aus“, sagt Afghani. Nur noch in absoluten Notfällen konnte das Rechtshilfeteam von Medica Afghanistan Frauen vor Gericht unterstützen.

Um die Ausbreitung von Covid-19 in den afghanischen Gefängnissen einzudämmen, wurden mittlerweile 14.000 verurteilte Straftäter auf Kaution freigelassen, darunter auch Taliban-Mitglieder. Aus den Frauengefängnissen wurden zwar 350 Frauen entlassen. Doch fast 150 Frauen und mehr als 110 Kinder bleiben inhaftiert, weil sie die geforderte Kaution nicht bezahlen können. Sie sind mittellos und wurden von ihren Familien verstoßen. „Das zeigt die tiefe strukturelle Ungleichheit von Frauen in allen Aspekten der Gesellschaft und Politik in Afghanistan, nicht nur während der Corona-Pandemie“, sagt Afghani. Medica Afghanistan setzt sich seit Jahren für die inhaftierten Frauen ein. Ihre Beobachtung: Während der Corona-Krise leiden die Frauen unter zusätzlichem psychologischem Stress. Sie leben häufig mit mehr als fünf Personen in einer winzigen Zelle, ohne jegliche gesundheitliche Betreuung.

Corona-Pandemie in Bosnien und Herzegowina: Erinnerungen an den Krieg in den 1990er Jahren kommen hoch

In Bosnien und Herzegowina lässt der Lockdown Erinnerungen an den Krieg in den 1990er Jahren hochkommen. Das birgt für viele die Gefahr einer Retraumatisierung: „Zu Hause bleiben zu müssen, erinnert viele Menschen an die Lebensgefahr, die drohte, wenn sie zu Kriegszeiten das Haus verließen“, sagt Sabiha Husić, Direktorin von Medica Zenica.

Die Folge: Depressionen, Spannungen und aggressives Verhalten. Husić: „In einigen Familien ist die Situation eskaliert und es kam zu schwerer Gewalt. Die Opfer sind fast immer Frauen und Mädchen.“ Der Staat reagiert nicht: „Die Polizei in Bosnien und Herzegowina wollte und konnte nicht auf die Fälle häuslicher Gewalt reagieren, weil sie mit der Durchsetzung der strengen Ausgangssperre überfordert war.“ So wurden unter anderem nächtliche Ausgehverbote verhängt. Allein im April haben bereits mehr als 28.000 Menschen ihren Arbeitsplatz verloren. In der Regel handelt es sich um Jobs, in denen besonders viele Frauen arbeiten – zum Beispiel im Tourismus, in der Textilindustrie, in Supermärkten oder in kleinen Läden für den täglichen Gebrauch.

Corona-Krise in Liberia: Restriktionen wirken sich besonders stark auf Frauen und Mädchen aus

Ein weiteres Beispiel ist das westafrikanische Liberia. „Wir haben in der Ebola-Krise 2014 bis 2016 gelernt, dass sich öffentliche Restriktionen stark auf Frauen und Mädchen auswirken, vor allem im Gesundheitswesen. Das gleiche erleben wir jetzt in der Corona-Krise“, sagt Caroline Bowah, Direktorin von Medica Liberia. Mit Blick auf die Ausgangssperre wurden beispielsweise keine Ausnahmen für schwangere Frauen oder Hebammen gemacht. Auch sie durften ihre Wohnungen nach 15 Uhr nicht mehr verlassen.

Hauser zeigt sich dennoch optimistisch: „Unter diesen schwierigen Bedingungen reorganisieren unsere Partnerorganisationen ihre Arbeit und passen ihre Aktivitäten an. Die Arbeit in Krisensituationen gehört zum Alltag unserer Partnerorganisationen – auch während Pandemien.“

Vor fünf Jahren, 2015, rief die Generalversammlung der Vereinten Nationen den Tag zur Beseitigung von sexueller Gewalt in Konflikten aus, um auf die Situation von Frauen in Krisengebieten aufmerksam zu machen und ihre Situation zu verbessern.

 

Für Interviews zur Frauenrechtssituation in Afghanistan, Bosnien und Herzegowina sowie Liberia stehen unsere deutschsprachigen Expertinnen zur Verfügung.

Redaktioneller Hinweis:
Bitte beachten Sie die Eigenschreibweisen der genannten Frauenrechtsorganisationen. Diese unterscheiden sich individuell in der Namensgebung.

Kontakt:
medica mondiale e.V.
Helena Haack
Pressereferentin
Telefon: 0221 - 93 18 98 25
Mail: presse@medicamondiale.org

 

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