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Wir Kinder der Gewalt

Inhaltsangabe des Verlags: Nicht nur sowjetische Armeeangehörige wurden am Ende des Zweiten Weltkriegs zu Vergewaltigern, alle vier Besatzungsarmeen verübten massenhaft Verbrechen an deutschen Frauen. Die Opfer dieser sexuellen Kriegsgewalt rangen oft ein Leben lang mit seelischen Problemen, Kinder, die aus den Vergewaltigungen hervorgingen, wurden quasi mit einer Erbschuld geboren, Familien litten vielfältig – und zum Teil bis heute – unter der belastenden Vergangenheit. Anhand bewegender Fallgeschichten zeigt Miriam Gebhardt, welch tiefe Spuren die massive Gewalterfahrung in den Jahren von 1945 bis 1955 in der deutschen Gesellschaft hinterlassen hat. Oft bestimmte das Kriegsende ein Familienschicksal, das bis in die heute erwachsene Enkelgeneration nicht überwunden ist.

Das Buch ist 2019 im DVA Verlag erschienen und für 24,00 Euro erhältlich. 304 Seiten l ISBN: 978-3-421-04731-1

Leseprobe

Das Aufeinandertreffen der deutschen Zivilbevölkerung mit den einmarschierenden Siegergruppen am Ende des Zweiten Weltkriegs war begleitet von massenhafter sexueller Gewalt. [...]

Die Opfer wurden, wie wir auch in unseren Fallgeschichten weiter unten sehen werden, oft körperlich schwer verletzt, sie erlitten manchmal bleibende gesundheitliche Schäden, sie konnten sich mit Geschlechtskrankheiten infizieren, und sie hatten oft lebenslange seelische Probleme infolge des brutalen Ereignisses. [...]

Und ihre Kinder? Sie wurden mit einer Erbschuld geboren. Wenn sie selbst ein Resultat der Gewalt waren, mussten sie mit einem schrecklichen Zeugungsakt und dem schamerfüllten Schweigen über den leiblichen Vater leben. Doch auch für Kinder, die lange nach der Vergewaltigung der Mutter gezeugt worden waren, war das Aufwachsen mit einem Opfer sexualisierter Gewalt häufig eine Bürde, an der sie bis heute tragen. Diese lang andauernde Belastung der Kinder der Gewalt ist der Anlass für dieses Buch.

Nach dem Erscheinen von »Als die Soldaten kamen«, meines ersten Buches, in dem ich mich auf die Spuren der sexuellen Gewalt nach dem Zweiten Weltkrieg begeben hatte, meldeten sich bei mir Dutzende von Menschen, die oftmals erst durch meine Publikation von dem Schicksal ihrer Mütter und Großmütter erfahren hatten beziehungsweise deren diesbezügliche Ahnung sich erst durch die Lektüre zu bestätigen schien. Manche baten um Hilfe bei ihren Recherchen, andere wollten sich bedanken dafür, dass sie sich mit ihrer Familiengeschichte nun nicht mehr so allein fühlten. In einigen Fällen waren die Schreiber nachträglich zutiefst verstört über ihre eigene Ignoranz, denn sie hatten den Geschichten ihrer Mütter oder Großmütter von sexuellen Übergriffen, besonders wenn es sich um westliche Soldaten gehandelt hatte, lange Zeit schlicht keinen Glauben schenken wollen. Jetzt kam ihnen auf einmal zu Bewusstsein, wie unrecht sie ihren Angehörigen damit getan hatten. Gerade deshalb, und weil es so offensichtlich wurde, wie sehr die alten Geschichten meinen Briefpartnern noch heute auf der Seele lagen, schien es mir angeraten, einige von ihnen zu treffen. Es wurden ausführliche Begegnungen.

Empfehlenswert

Seit Miriam Gebhardt ihr Buch „Als die Soldaten kamen“ (2015) veröffentlichte, ist sie für viele Überlebende der Kriegsgewalt des Zweiten Weltkriegs zur Ansprechpartnerin geworden. Menschen kamen von sich aus mit ihren biographischen Erlebnissen, niedergeschrieben in Mails und Briefen, auf sie zu. Stand in ihrem ersten Buch das Ziel im Fokus, das Ausmaß sexualisierter Kriegsgewalt sowie die diversen Tätergruppen zu benennen und ihre Taten zu belegen, so sind es in „Wir Kinder der Gewalt“ die Kinder des Krieges, die selbst zu Wort kommen.

Lesend tauchen wir ein in die Erlebnisse von Kindern, die sexualisierte Gewalt mit ansehen mussten, sie und ihre Folgen selbst erlebten oder aus einer Vergewaltigung hervorgingen. Dabei sind die Schilderungen achtsam formuliert und dosiert. Dies trägt dazu bei, einen voyeuristischen Blick auf die Geschehnisse oder eine retraumatisierende Wirkung bei den Lesenden zu vermeiden, obgleich die geschilderte Gewalt, die gesellschaftliche Ausgrenzung der Opfer und die fehlende Anerkennung des erlebten Leids mindestens sprachlos machen: „(…) erwiesen sich die Behörden und die nähere Umgebung oft als moralische Scharfrichter über die Betroffenen. Die Taten wurden angezweifelt, Gewaltopfer für ihr Schicksal selbst verantwortlich gemacht, Anträge auf Schwangerschaftsabbrüche abgewiesen, finanzielle Hilfe für die Kinder aus Vergewaltigungen verweigert.“ (S. 218).

Darüber hinaus legt die Historikerin großen Wert darauf, die Einzelfälle in die gesellschaftlichen Umstände und Gegebenheiten der Nachkriegszeit einzuordnen. Aus dem Vorwort: „So wechseln sich in diesem Buch ausführliche Falldarstellungen mit allgemeineren Quellen ab, die bei der historischen Einordnung des Einzelfalls in das Große und Ganze helfen sollen.“ Insbesondere die wertvollen, mutigen Zeitzeugnisse und ihre Einordnung in gesellschaftliche Zusammenhänge machen dieses Buch lesenswert, auch wenn ein tiefgehender kritischer Blick beispielsweise auf patriarchale Strukturen als Nährboden sexualisierter Gewalt unterbleibt.

Bereits mit den ersten Berichten wird deutlich, dass es sich hier nicht um tragische Einzelschicksale oder individuelle, sogenannte Kollateralschäden des Krieges handelt. Es sind Gewalterlebnisse, die unsere Gesellschaft bis heute tief geprägt, teils über Generationen traumatisiert haben und zerstörerisch schnell unter den Deckmantel der Geschichte gekehrt wurden. Gebhardt (S. 215): „Nach 1945 bestand allgemein kein gesellschaftliches Bewusstsein für das Problem kriegsbedingter sexueller Gewalt. Es existierten keine Organisationen wie heute beispielsweise Medica Mondiale, die sich zur Lobby der Betroffenen und ihrer Kinder machten. Kriegsbedingte sexuelle Gewalt galt quasi als naturhafte Begleiterscheinung jedes militärischen Konfliktes (…).“ Dieses Buch könnte ein Beitrag sein für eine heilende Auseinandersetzung mit dieser verschwiegenen Gewalt und ihren Folgen.

Autorin: Christine Vallbracht, Online-Referentin bei medica mondiale, Mai 2020

Über das Buch

„Der Bericht „Wir Kinder der Gewalt“ ist keine Abrechnung und lässt keinen Raum für Vergeltung, und schon gar nicht für rassistisches, nationalistisches und populistisches Gedankengut. Es sind Bemühungen, vergangenes Unrecht zu erinnern und wachsenden Vorurteils- und Stereotypenbildungen Fakten und Wirklichkeiten entgegen zu setzen. Nicht Rachegelüste, Fingerzeig-Argumente und Schuldzuweisungen können den tatsächlichen Gewalttaten gerecht werden, sondern nur objektives und faktisches Erinnern. Miriam Gebhardt unternimmt dafür den bemerkens- und anerkennenswerten Versuch.“

Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, vollständige Rezension auf  www.socialnet.de, 2019

„Kürzlich hat der UNO-Sicherheitsrat eine Resolution gegen sexuelle Gewalt in Konfliktgebieten verabschiedet. Das Thema bleibt auf der Tagesordnung, was anhand dieses Buches, das gerade darum sehr aktuell ist, bewegend deutlich wird.”

Der Freitag, Mai 2019

„Es ist Miriam Gebhardts Verdienst, diese bislang im Dunkel geblieben Schicksale ins Licht der Forschung gehoben zu haben, die damit noch lange nicht beendet ist.”

Badische Zeitung, Juli 2019

„Dieses Buch über ein düsteres Kapitel dieser Gesellschaft überzeugt durch die souveräne Verbindung von individueller und allgemeiner Geschichte, von Originalton der Betroffenen und historischem Wissen.”

ORF „Kontext”, August 2019