Afghanistan: Mit Online-Kursen gegen Rechtlosigkeit

Seit der Machtergreifung der Taliban im Sommer 2021 werden Rechtsanwält:innen, Richter:innen und Strafverteidiger:innen bedroht, angegriffen und ermordet. Die Taliban tun alles dafür, dass die Jurist:innen zu den letzten ihrer Generation gehören: Seit Dezember 2022 sind Student:innen aus den Hörsälen verbannt.
Die Women for Justice Organisation (WJO) setzt sich seit Jahren dafür ein, dass Frauen in Afghanistan Zugang zu juristischer Unterstützung erhalten. Nur wenige Wochen nachdem die Taliban Frauen den Zugang zu den Hochschulen versperrten, starteten die Kolleg:innen der WJO im Februar 2023 den sechsmonatigen Intensiv-Kurs „Next Generation“. Einer neuen Generation von Jurist:innen bietet er die Möglichkeit, weiter zu studieren und sich trotz der Ausbildungsverbote für die Rechte von Überlebender sexualisierter Gewalt einzusetzen.
Neue Hoffnung für afghanische Frauen
Bei WJO lernen 25 Jura-Studentinnen, wie sie bestehendes Recht nutzen können, um Gerechtigkeit für Frauen zu erkämpfen. Sie üben, in Verhandlungen zu argumentieren und mit Stress umzugehen. Auf dem Stundenplan stehen Zivil- und Familienrecht ebenso wie Geschlechterstereotype und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft. Zudem nehmen die jungen Frauen an Workshops zu Führungskompetenz, Selbstermächtigung und Selbstbewusstsein teil. Aus Sicherheitsgründen finden die Trainings online statt.
Die meisten der Teilnehmenden stammen aus armen Familien. Die 20- bis 24-jährigen Student:innen leiden angesichts existenzieller Sorgen und den Restriktionen der Taliban unter Stress und psychischem Druck. Doch sie lassen sich nicht entmutigen. Nicht durch die Verbote der Taliban. Und nicht durch die ständigen Stromausfälle, die das Online-Training und den fachlichen Austausch via Messenger-Dienste erschweren.
„Dieses Programm hat mir neue Hoffnung gegeben, und die Motivation, neu anzufangen, statt aus lauter Verzweiflung aufzugeben.“
Ausbildung zur psychosozialen Berater:in
Zehn Teilnehmer:innen des Next-Generation-Kurses ergänzen die Online-Ausbildung mit praktischem Wissen. Als Stipendiat:innen der WJO begleiten sie das Team elf Monate lang bei der Arbeit in den Gesundheitszentren und Kliniken in Kabul, in denen unsere Partnerorganisation gewaltbetroffenen Frauen juristischen Beistand und psychosoziale Unterstützung anbietet. Um Konflikte zu lösen, setzt das Team der WJO auch auf Familienmediation. Dabei treffen sich die Mitarbeiter:innen mit den weiblichen Familienmitgliedern und beziehen Väter, Brüder und Söhne per Telefon in die Gesprächsprozesse ein. Am Ende ihrer Ausbildung sind die Stipendiat:innen zertifizierte psychosoziale Berater:innen.
„In der gegenwärtigen Situation Afghanistans, die durch Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit geprägt ist, ist das Programm (…) wie ein Licht inmitten der Dunkelheit ."
Vor der Machtübernahme durch die Taliban im Jahr 2021 hatte Afghanistan eine der höchsten Raten von Gewalt gegen Frauen und Mädchen weltweit. Seitdem hat geschlechtsspezifische Gewalt noch zugenommen. Mehrere Studien belegen, dass Überlebende, die keinen Zugang zur Justiz haben, in hohem Maß an psychosozialen Problemen leiden. Das wollen das Team der WJO und die Nachwuchsjuristinnen nicht akzeptieren. Sie haben der Rechtlosigkeit afghanischer Frauen den Kampf angesagt.
„Unser Programm wurde zu einer Hoffnung für die Teilnehmerinnen. Zu sehen, dass Wissen niemals ,weggesperrt‘ oder weggenommen werden kann oder wirklich verschwindet, motiviert sie.“