Wir unterstützen Frauen und Mädchen in Kriegs- und Krisengebieten.
Suche
21. September 2022 - Meldung

Safe Abortion Day: Mitten im Krieg und schwanger

Fliegeralarm, Schüsse, zerstörte Häuser: Es ist Krieg in der Ukraine, in Sierra Leone und in vielen anderen Regionen weltweit. Gegnerische Soldaten durchkämmen gewaltbereit die Straßen. Die Angst bei der Bevölkerung sitzt tief. Staatliche Institutionen, wie beispielsweise Gesundheitssysteme, sind zusammengebrochen. Viele Schwangere hadern in einer Kriegs- und Krisensituation mit ihrer Schwangerschaft und empfinden sie als enorme zusätzliche Belastung – besonders als Überlebende einer Kriegsvergewaltigung.

Menschen protestieren vor dem Brandenburger Tor für das Recht auf körperliche Selbstbestimmung und legale Schwangerschaftsabbrüche.

Doch selbst, wenn die Frauen und Mädchen wollten, könnten sie eine ungewollte Schwangerschaft nicht abbrechen. Sie haben sogar in Friedenszeiten häufig keinen Zugang zu sicherer medizinischer Versorgung. Oftmals droht ihnen aufgrund patriarchaler Gesetzgebung eine Strafverfolgung: 

„Frauen und Mädchen wird signalisiert, dass sie ein Verbrechen begehen und sich moralisch schuldig machen, wenn sie einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen. Sie werden stigmatisiert und ausgegrenzt, weil sie ihr Recht auf Selbstbestimmung wahrnehmen und eine Entscheidung über ihren eigenen Körper treffen wollen.“

Jessica Mosbahi, Referentin für Politik und Menschenrechte bei medica mondiale  

In Kriegs- und Krisensituationen dominieren Angst und Unsicherheit 

In Kriegs- und Krisensituationen dominieren Unsicherheit, Verlust und Angst. Überleben ist das vorrangigste Ziel. Sowohl eine Schwangerschaft als auch die Geburt selbst sowie die Zeit danach erfordern Zuversicht, Sicherheit und umfängliche soziale Unterstützung. Beängstigende Extremsituationen sind hingegen belastend für Mutter und Kind. Alltägliche Strukturen geraten aus den Fugen.  

Medizinische Versorgung in Krisen rasch gefährdet  

Eine reguläre medizinische Versorgung ist in der Krise rasch finanziell als auch bezüglich personeller Ressourcen gefährdet. Dies war beispielsweise auch in Zeiten der Pandemie weltweit sichtbar geworden. Und wie Isabel Yordi Aguirre, Fachreferentin für Gender und Gesundheit bei der WHO, im Mai gegenüber dem Magazin WIRED äußerte, ist der Ukrainekrieg wie jeder Krieg gleichzeitig eine Krise in punkto reproduktiver Gesundheit – für Millionen von Menschen. Es sei deshalb unverzichtbar, sowohl den geflohenen Frauen als auch den zurückgebliebenen Zugang zu beispielsweise Verhütungsmitteln sowie sicheren Schwangerschaftsabbrüchen zu ermöglichen.  

Beispiel Polen: diskriminierende, angstbesetzte Strafverfolgungspraxis  

Im ukrainischen Nachbarland Polen ist seit der weiteren Verschärfung des Abtreibungsrechts im Herbst 2020 ein Schwangerschaftsabbruch fast gänzlich verboten. Selbst schwangeren Frauen, die vor dem Krieg in ihrer Heimat nach Polen fliehen, teilweise selbst traumatisiert sind und womöglich vergewaltigt wurden, wird nur unter hohen bürokratischen Auflagen ein straffreier Abbruch zugestanden. In der Praxis sind regelmäßig weder die Auflagen zu erfüllen noch findet sich medizinisches Personal für die Durchführung dieses Abbruchs aus Angst vor der drohenden Strafverfolgung.   

„Selbst für die Frauen, die in Kriegen vergewaltigt und in der Folge schwanger geworden sind, ist ein Schwangerschaftsabbruch meist nicht möglich. Nicht nur, weil die medizinischen Möglichkeiten in Kriegs- und Nachkriegsgebieten dafür nicht vorhanden sind, sondern vor allem, weil restriktive Gesetze, Glaubensauslegungen oder Vorgaben internationaler Geldgeber Schwangerschaftsabbrüche verbieten. Wir als internationale Frauenrechtsorganisation fordern, dass Frauen frei darüber entscheiden können, ob und wann sie schwanger werden und ob und wie viele Kinder sie austragen möchten.“

Jessica Mosbahi, Referentin für Politik und Menschenrechte bei medica mondiale   

Hintergrund: Reproduktive Selbstbestimmung – ein hart umkämpftes Menschenrecht  

Sexuelle, körperliche und reproduktive Selbstbestimmungsrechte werden in vielen Ländern der Welt missachtet. Wer diese universellen Menschenrechte, zu welchen auch Schwangerschaftsabbrüche zählen, für sich beansprucht, wird vielerorts mit Strafen und Verfolgung bedroht. Rund 1,2 Milliarden Frauen und Mädchen zwischen 15 und 49 Jahren lebten 2021 laut aktuellem UN-Bericht in Gegenden und Ländern, in denen der Zugang zu einer sicheren Abtreibung eingeschränkt ist. 

Auch Frauen in Deutschland, die einen Schwangerschaftsabbruch erwägen, werden bis heute kriminalisiert. Unlängst wurden die Rechte von Frauen, über ihren Körper selbst zu bestimmen, beispielsweise in den USA, Polen und in Ungarn erneut eingeschränkt. Schwangerschaftsabbrüche sind dort jetzt kaum noch ohne erhebliche Hindernisse, selten gefahrlos oder sogar nur noch illegal möglich. Damit werden gleich mehrere Menschenrechte verletzt:  

„Die Unzugänglichkeit einer qualitativ hochwertigen Abtreibungsversorgung birgt die Gefahr, dass eine Reihe von Menschenrechten von Frauen und Mädchen verletzt werden, darunter das Recht auf Leben, das Recht auf das erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit (…) und das Recht, frei von Folter, grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung und Strafe zu sein.“

Weltgesundheitsorganisation (WHO), 2021 

Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen gefährdet Gesundheit und Leben von Frauen 

In vielen Ländern wird die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen mit einem vermeintlichen Schutz des sogenannten ungeborenen Lebens begründet. Aus feministischer Perspektive handelt es sich jedoch vielmehr um einen Versuch, Kontrolle über weibliche Körper zu erlangen. Zudem entbehrt eine solche Argumentation jeder wissenschaftlichen Grundlage und widerspricht der beispielsweise durch eine WHO-Studie von 2017 erwiesenen Tatsache, dass die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche kaum bis gar nicht sinkt, wenn diese kriminalisiert werden. Lediglich der Anteil der unsicher durchgeführten Abbrüche und damit die Gefahr für die Schwangeren steigt erheblich:  

„Die Einschränkung des Zugangs zu Abtreibungen führt nicht zu einer Verringerung der Zahl der Schwangerschaftsabbrüche.“

WHO und Guttmacher Institute (2017) 

Laut WHO führen gesetzliche Strafverfolgung von Schwangerschaftsabbrüchen zur Durchführung von Abbrüchen beispielsweise mit einer veralteten Methode wie der "scharfen Kürettage". Zu den Komplikationen bei unsicheren Schwangerschaftsabbrüchen gehören unvollständige Abbrüche, Blutungen, Verletzungen sowie Infektionen. Schätzungsweise werden jährlich rund 25 Millionen Abbrüche durchgeführt, bei welchen Gesundheit und Leben der Schwangeren gefährdet werden. Nach Angaben der WHO gehören unsichere Schwangerschaftsabbrüche zu den häufigsten Todesursachen bei schwangeren Menschen.