Portrait Mashia Fayez

Masiha Fayez

Juristin und Aktivistin

Ich war Jurastudentin, als die Mudschahedin im April 1992 die Herrschaft in Kabul übernahmen. Meine Familie flüchtete nach Pakistan. Mehr als zehn Jahre dauerte es, bis wir zurückkehrten und ich mein Studium beenden konnte.

2004 begann ich, als Strafverteidigerin bei medica mondiale zu arbeiten. Später leitete ich sechs Jahre lang die Rechtsabteilung und begleitete 2009 die Gründung der unabhängigen Organisation Medica Afghanistan.  

Die rechtliche Vertretung von Frauen durch Frauen war damals neu. Wir unterstützten Frauen, die sexualisierte Gewalt überlebt hatten oder des Ehebruchs beschuldigt wurden. Wir vertraten Geschiedene, die um das Sorgerecht für ihre Kinder kämpften. Wir berieten inhaftierte Frauen und halfen ihnen nach dem Ende ihrer Haftstrafe bei der sicheren Wiedereingliederung. Das war oft schwierig. Denn eine Frau, die verhaftet wird oder ihren Mann verlässt, bringt angeblich „Schande“ über ihre Familie. „In Weiß verlässt du dein Elternhaus. In Weiß kommst du wieder zurück“, heißt es bei uns, weil Frauen am Tag ihrer Hochzeit weiß tragen und die Toten in weiße Leintücher gehüllt werden.  

Die Botschaft ist klar: Du hast zu ertragen, was auch immer geschieht. Um das zu ändern, setzten wir uns auch auf politischer Ebene für Frauenrechte ein.

Einer der größten Erfolge war die Einführung des Gesetzes zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen (EVAW). 2009 trat es in Kraft. Es war das erste, das 22 Formen von Gewalt gegen Frauen – darunter Vergewaltigung und familiäre Gewalt – als Straftatbestand anerkannte und Unterstützungsmechanismen einführte wie beispielweise Frauenhäuser.  

Ein Jahr vor der Machtergreifung der Taliban begannen meine Albträume. Damals wurde es immer gefährlicher für Aktivist:innen und immer öfter bedrohten die Taliban auch deren Familienmitglieder.  

Eines Tages kam mein Mann nach Hause: „Laila ist entführt worden“, sagte er. Das elfjährige Nachbarsmädchen blieb zwei Nächte verschwunden. Dann wurde sie vor dem Gebäude, in dem wir lebten, abgesetzt. Sie erzählte, dass Männer sie nach ihren Eltern ausgefragt hätten – aber offensichtlich ein anderes Mädchen entführen sollten. Laila war so alt wie unsere Tochter. Wir zogen zu meinem Neffen in die Türkei, in der Hoffnung, zurückzukehren, sobald es wieder sicherer sein würde.  

Im August 2021 war ich mit meinem Mann und unserem jüngsten Sohn in Kabul, um dort ein Projekt abzuschließen. Danach wollten wir direkt zurück. 

Aber wir waren zu spät. Meine Albträume wurden wahr: Terroristen in Kabuls Straßen, Verbrecher, die frei herumliefen, nachdem die Taliban die Gefängnisse geöffnet hatten. Darunter auch Männer, die wegen meiner Arbeit verurteilt worden waren.  

Masihas Flucht nach Deutschland

Route Map
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Kabul, Afghanistan
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Islamabad, Pakistan (20.09.21)
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Doha, Katar (20.09.21)
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Istanbul, Türkei (20.09.21)
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Frankfurt, Germany (02.11.21)

Was mich aufrechterhielt, war die Solidarität meiner internationalen Kolleg:innen und Freund:innen, die mir pausenlos Nachrichten auf mein Handy sandten.  

Während wir nach Möglichkeiten suchten auszureisen, spitzte sich die Situation für die Bevölkerung zu. Die Banken waren geschlossen. Angestellte erhielten kein Gehalt mehr. Den Menschen fehlten selbst 10 Afghani (etwa 12 Cent), um Brot für ihre Kinder zu kaufen.  

Ich sprach mit meinem Neffen in der Türkei. Er startete eine Spendenaktion auf Facebook. Fast 36.000 Euro kamen so zusammen. Ich warf mir den großen Hijab meiner Schwiegermutter über und zog los. Ich ging in Krankenhäuser und zu den Tagelöhnern, die auf den Straßen Kabuls auf Arbeit hofften. Viele weinten, wenn ich ihnen Geld gab. Sie sagten: „Noch nie waren wir auf Hilfe angewiesen.“ Oder: „Zwei Tage ist es her, dass meine Kinder etwas zu essen hatten.“  

Masiha Brustbild

Im September nahm die afghanische Fluggesellschaft KamAir den Betrieb wieder auf, nachdem der Flughafen wochenlang geschlossen gewesen war. Es gelang uns, Tickets zu kaufen. Nach fast zwei Monaten konnte ich meine beiden älteren Kinder in Istanbul wieder in die Arme schließen. Im November flogen wir gemeinsam weiter nach Frankfurt.  

21 Jahre lang hatte ich unermüdlich gearbeitet. Jetzt musste ich bei null anfangen. Aber Herausforderungen machen einen stärker. Und mit dieser Stärke werde ich mich für Frauenrechte einsetzen, solange ich kann. Das sehe ich als meine Verantwortung angesichts der Situation in Afghanistan, aber auch in anderen Ländern. Gemeinsam mit ehemaligen Kolleginnen habe ich deshalb 2023 Hami e. V. gegründet, eine Organisation, die Frauen und Mädchen in Deutschland und Afghanistan unterstützt.  

Ich hoffe so sehr, dass die Menschen in Afghanistan eines Tages ohne Krieg und Gewalt leben können. Ich träume davon, afghanische Frauen wieder in Führungspositionen zu sehen – und dass eines Tages eine Präsidentin das Land regiert. 

Portrait Mashia Fayez
Mashia Fayez
Masiha Fayez (52) begann 2004, als Strafverteidigerin bei medica mondiale in Afghanistan zu arbeiten. Später leitete sie das Rechtshilfeprogramm. 2023 absolvierte Masiha Fayez an der Frankfurt University of Applied Sciences ein Aufbaustudium in Familienmediation. Die Juristin, Aktivistin und Vorsitzende der Frauenrechtsorganisation Hami – Women Empowerment Organization e. V. engagiert sich in diversen Netzwerken, die sich auf politischer Ebene für Menschenrechte in Afghanistan einsetzen. Unter anderem leitet sie den Frauenausschuss der Afghanistan Independent Bar Association in Exile (AIBAIE).