Portrait Mariam Zalmai Hanafi

Mariam Zalmai Hanafi

Juristin und frühere Strafverteidigerin bei Medica Afghanistan

Ich komme aus einer Familie von Feminist:innen. Mein Vater hat sieben Töchter. Er tat alles dafür, dass sie studieren konnten. Trotz 40 Jahren Krieg. Vier von uns wurden Anwältinnen. Ich bin eine davon.  

Wo Unterdrückung und Ungerechtigkeit herrschen, müssen wir für Freiheit und Gerechtigkeit einstehen. Das darf nicht nur ein Lippenbekenntnis sein. Das muss gelebt werden, finde ich.  

Ich habe im Gerichtssaal für Gerechtigkeit gekämpft. Ich habe Mütter in Scheidungsverfahren vertreten und junge Frauen verteidigt, die zu Unrecht angeklagt waren. Ich wehrte mich, wenn meine Klientinnen von den männlichen Richtern beleidigt wurden. 

Und weil ich sie verteidigte, wurde ich selbst angegriffen.  

Unsere Arbeit ging über die rein juristische Vertretung hinaus. Wir klärten unsere Klientinnen auf: Welche Rechte haben sie? Welche Möglichkeiten gibt es, sie durchzusetzen? Nicht allen war bewusst, dass es nicht in Ordnung ist, wenn der Mann zuschlägt, dass niemand sie dazu zwingen darf, Kinder zu bekommen.  

Zwölf Jahre arbeitete ich bei Medica Afghanistan.

Manchmal denke ich: Vielleicht hat die Dankbarkeit all der Frauen, die ich vertreten habe, vielleicht haben ihre Stoßgebete am Ende dazu geführt hat, dass ich gerettet wurde? 

Der 15. August 2021 war ein Horrortag. Ich war im Büro, als der Anruf kam: „Die Taliban sind da.“ Meine Tochter war Gott sei Dank bei mir. Sie ging in den Kindergarten von Medica Afghanistan, der im selben Gebäude untergebracht war. Aber mein Sohn war in der Schule. Ich nahm meine Tochter und lief zur Tür, um zu ihm zu fahren – und da stand er. Die Schulleitung hatte ihn zu mir bringen lassen. Diese unendliche Erleichterung, meine Kinder unverletzt bei mir zu haben, werde ich nie vergessen. 

Fünfeinhalb Stunden saßen wir im Taxi. Die Straßen waren voller Menschen, Autos, Motorräder. Als wir an der Universität vorbeifuhren, sah ich Studierende aus dem Gebäude rennen. Es war apokalyptisch.  

Mariams Flucht nach Deutschland

Route Map
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Kabul, Afghanistan
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Mazar-e-Scharif, Afghanistan (25.09.21)
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Tirana, Albanien (28.09.21)
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Frankfurt, Deutschland (18.11.21)

Wir kamen sicher zu Hause an. Aber in Sicherheit waren wir nicht.

Es war bekannt, dass ich für eine Frauenrechtsorganisation arbeitete. Ich erhielt Anrufe von Unbekannten. Einmal fragte ein Mann: „Spreche ich mit Mariam?“ Ich sagte: „Nein.“ – „Aber es ist Ihre Nummer. Bitte kommen Sie in die Polizeiwache im Distrikt 10.“ 

Im Distrikt 10 lag das Büro von Medica Afghanistan. In der dortigen Polizeistation hingen – wie in vielen anderen – unsere Nummern aus, damit Frauen uns bei Bedarf leicht kontaktieren konnten. Ich wechselte die SIM-Karte meines Handys, damit mich niemand mit der alten Nummer orten konnte. 

medica mondiale versuchte, uns so schnell wie möglich zu evakuieren. Bald war klar: Über den Kabuler Flughafen würden wir es nicht schaffen. Wer einen gültigen Pass hatte, beantragte Visa für eines der Nachbarländer. Für uns öffnete sich ein anderer Weg: Mit meinem Mann und unseren Kindern konnte ich Mitte September über Masar-e Scharif nach Albanien fliegen.  

Mariam Brustbild

In Tirana angekommen, warf ich mein Handy weg. Sechs Wochen ständige Alarmbereitschaft lagen hinter mir. Sechs Wochen, in denen ich das Telefon nicht aus der Hand legte, weil jeden Moment die Nachricht hätte eintreffen können: „Es geht los.“ Ich konnte den Anblick des Handys nicht länger ertragen. Später kaufte ich mir ein neues. Es musste ja weitergehen. Und es ging weiter: Innerhalb einer Woche erhielten wir die Visa für Deutschland. Die Kolleg:innen von medica mondiale hatten per Telefon selbst noch bis spät am Abend dabei geholfen. Und während wir auf die Weiterreise warteten, besuchte uns eine Kollegin der kosovarischen Frauenrechtsorganisation Medica Gjakova, mit der wir über medica mondiale eng verbunden sind. So viel Solidarität! 

Am 18. November kamen wir schließlich in Deutschland an. Der Anfang war nicht leicht. In Kabul hatte ich meine Arbeit, meine Familie, mein Leben. In Frankfurt am Main hatten wir ein leeres Zimmer. Kein eigenes Bad, keinen Kinderarzt, als meine Tochter krank wurde. Mittlerweile haben wir eine Wohnung gefunden. Die Kinder gehen zur Schule. Wir sind angekommen. 

Ich bin Afghanin. Und Afghaninnen haben gelernt, immer wieder aufzustehen. Auch wenn es schwer ist. Mit dem Vertrauen in diese Fähigkeit haben wir Hami e. V. gegründet. Hami ist ein weiterer Schritt, das Versprechen einzuhalten, das ich mir und den afghanischen Frauen als junge Jurastudentin gegeben habe: für ihre Rechte einzustehen.  

Portrait Mariam Zalmai Hanafi
Mariam Zalmai Hanafi
Mariam Zalmai Hanafi arbeitete zwölf Jahre als Strafverteidigerin bei Medica Afghanistan in Kabul. 2023 schloss sie eine Nachqualifizierung im Bereich Familienmediation an der Frankfurt University of Applied Sciences ab. Im selben Jahr gründete sie mit ehemaligen Kolleginnen die Frauenrechtsorganisation Hami – Women Empowerment Organization e. V.