Welttag der psychischen Gesundheit: medica mondiale warnt vor transgenerationalem Trauma
„Traumata, wie sie häufig aus Kriegsvergewaltigungen oder anderen Formen sexualisierter Kriegsgewalt entstehen, enden nicht mit dem Krieg – sie wirken weiter, über Generationen hinweg“, erklärt Karin Griese, Bereichsleitung Trauma-Arbeit, der Frauenrechtsorganisation medica mondiale. „Frauen und Mädchen, die diese Gewalt überlebt haben, leiden oft ihr Leben lang unter den Folgen. Doch das Leid betrifft nicht nur sie selbst: Traumadynamiken setzen sich in Familien und Gemeinschaften fort, sind auch auf gesamtgesellschaftlicher Ebene spürbar“, so Griese.
Die Auswirkungen transgenerationaler Traumafolgen sind vielfältig. Sie zeigen sich etwa in einer übersteigerten Wahrnehmung von Bedrohung, Scham- und Minderwertigkeitsgefühlen oder insgesamt Schwierigkeiten, die eigenen Gefühle zu regulieren. Das kann auch dazu führen, dass Betroffene nahe Beziehungen nicht ertragen oder aufrechterhalten können.
„Der erste Schritt in Richtung Aufarbeitung ist die Enttabuisierung und gesellschaftliche Anerkennung - das Sprechen über patriarchale Gewalt, ihre Ursachen und Folgen“, erklärt Griese. Was nicht gemeinsam erinnert und nicht anerkannt wird, bleibt wirksam – im Stillen. „Wenn Überlebende aber Unterstützung erfahren, ihr Leid gesehen und benannt wird, kann eine Generation beginnen, das Schweigen zu überwinden. Das wirkt heilsam – in Familien, in Gemeinschaften und für ganze Gesellschaften“, so die Expertin.
Anstelle von Anerkennung und Unterstützung, erfahren Überlebende sexualisierter Gewalt und Kriegsgewalt aber meist Ablehnung. Sie werden ausgegrenzt, stigmatisiert, selbst verantwortlich gemacht und zum Schweigen gebracht. Dieses Schweigen ist kein Einzelfall und hat nichts mit Nation, Religion oder Kultur zu tun, sondern ist die grausame Realität von Frauen und Mädchen weltweit. Ursache sind die zugrundeliegenden patriarchalen Strukturen unserer Gesellschaften. Das Schweigen dient dem Machterhalt dieser – auch in Deutschland.
„Wir müssen nicht erst nach Bosnien, Irak oder in die Demokratische Republik Kongo gucken, um transgenerationale Traumata in den Gesellschaften zu finden“ erklärt Monika Hauser, die Gründerin von medica mondiale. 2025 jährte sich das Ende des 2. Weltkriegs zum 80. Mal. Millionen Frauen und Mädchen erlebten im Zweiten Weltkrieg sexualisierte Gewalt. Doch dieser Teil der Geschichte wurde ignoriert und verdrängt und die betroffenen Frauen mit ihren Erfahrungen allein gelassen. Bis heute ist auch hier das Schweigen vorherrschend und mangelt es an der Aufarbeitung dieser Gewalt.
Umso wichtiger sei es, zu verstehen, dass Traumata weder rein individuelle Ereignisse noch dass sie in der Vergangenheit abgeschlossen seien, so die Gründerin. Sie werden auf die nächsten Generationen übertragen und wirken bis in unsere Gegenwart und die ganze Gesellschaft hinein.
„Daher ist die Unterstützung Überlebender eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Politik und Institutionen und Zivilgesellschaft müssen hier Verantwortung übernehmen und einen Beitrag leisten“, fordert Hauser.
Es braucht:
Die öffentliche Anerkennung sexualisierter Gewalt als Unrecht - gleichzeitig müssen das Leid und die Kraft der Überlebenden und Folgegenerationen gewürdigt werden
Mehr niedrigschwellige Beratungs- und Therapieangebote – auch für Angehörige.
Erinnerungsorte und generationsübergreifende Debatten zu den Ursachen und Folgen von sexualisierter Gewalt, um das Schweigen zu überwinden.
solidarische und feministische Vergangenheitsbewältigung, die der Erinnerung an das Erlebte von Frauen und Mädchen einen zentralen Stellenwert gibt, Brücken baut und dabei hilft, Traumata zu verarbeiten
Ein intersektionales Verständnis von Gewalt, das alle Formen von Diskriminierung integriert und die Lebensrealitäten aller Menschen mitdenkt.
Als Fachorganisation, die seit über 30 Jahrzehnten mit Überlebenden sexualisierter Gewalt und Trauma arbeitet, setzt sich medica mondiale seit Anbeginn für eine traumasensible Begleitung von Überlebenden ein – mit niedrigschwelligen Beratungsangeboten, psychosozialer Begleitung und politischer Arbeit. Dazu hat die Organisation in Zusammenarbeit mit ihren Partner:innen den STA- stress- und traumasensibler Ansatz (R) entwickelt. Denn nach einer Gewalterfahrung brauchen Überlebende Sicherheit und Schutz. Sie müssen die Kontrolle über ihr Leben zurückgewinnen und heilen können. Dafür ist es wichtig, geschützte Räume für Gespräche anzubieten, vertrauensvolle Beziehungen aufzubauen und Menschen gezielt zu stärken. Und es ist essentiell, dass das erlebte Leid auch von der Gesellschaft anerkannt wird.