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31. März 2023 - Interview

Vorständin Sybille Fezer zu 30 Jahre medica mondiale: „Wir sind frei, wenn keine Frauen mehr unterdrückt werden.“

30 Jahre medica mondiale, 30 Jahre feministische Solidarität. Darüber spricht Sybille Fezer im Interview. Sie ist seit 2016 Vorständin für Programme & Strategien bei medica mondiale. Zuvor war sie Referent:in für Afghanistan und Liberia, hat mit Partner:innen in der DR Kongo und im Kosovo zusammengearbeitet. Gemeinsam haben sie Rückschläge überwunden und Erfolge gefeiert. Denn: “Was nützt uns die Revolution, wenn wir nicht tanzen können?“

Eine Frau mit einem grünem Schal steht auf einer Dachterrasse mit Kölner Dom im Hintergrund. Es ist Sybille Fezer, Geschäftsführender Vorstand Internationale Programme bei medica mondiale.

Sybille, was ist das Besondere an der Projektarbeit von medica mondiale?

Zum einen ist das der „Mehrebenenansatz“, auf dem unsere Arbeit von Anfang an beruht. Wir unterstützen auf der individuellen, gesellschaftlichen und institutionellen Ebene, arbeiten aber auch an politischen Strukturen und gesellschaftlichen Narrativen. Heute ist diese holistische Herangehensweise Gang und Gäbe, aber 1991 waren wir eine der Pionier:innen. Zum anderen sieht sich medica mondiale nicht nur als „Geberin“. Wir sind politisch-aktivistische Partner:in und Teil einer weltweiten Frauenbewegung. Feministische Solidarität ist grundlegend für uns – und zwar in guten wie in schlechten Zeiten. Es geht nicht um Charity. Es geht um das Wissen, dass wir nur wirklich frei sein können – als Frauen, als Menschen–, wenn auf der Welt keine Frauen mehr unterdrückt, wenn Menschen und Umwelt nicht mehr ausgebeutet werden.

Wie weißt du, dass die Unterstützung tatsächlich bei den Überlebenden ankommt?

Formal, weil jedes Projekt evaluiert wird, also auf Herz und Nieren überprüft. Das machen wir nicht nur technisch, sondern auch, indem wir Frauen nach ihren eigenen Geschichten des Wandels fragen. Und manchmal zeigt sich die Wirkung in Begegnungen. Ein Beispiel aus der DR Kongo: Dort habe ich während einer Projektreise mit einer Überlebenden gesprochen. Unsere Partnerorganisation PAIF hat sie psychosozial beraten und finanziell unterstützt. So konnte sie eine kleine Saft-Produktion beginnen. Vom Geld, das sie damit verdiente, baute sie über die Zeit ein Zimmer an ihrer kleinen Hütte an. Das vermietete sie und von den Mieteinnahmen wiederum konnte sie etwas zur Seite legen. So konnte sie die Universität für ihren Sohn und ihre Tochter finanzieren. Ich finde es bemerkenswert, dass Solidarstrukturen mit kleinen Summen so große Veränderungen bewirken können.

Was sind aktuell die größten Herausforderungen?

Zum einen ist das die Frage, wie wir Spender:innen und Geldgeber:innen für Regionen und Länder interessieren können, die nicht im Fokus der Aufmerksamkeit stehen, die nicht die Ukraine sind, nicht der Nordirak. Eine weitere große Herausforderung sind die antifeministischen Bewegungen weltweit, die ganz oft Hand in Hand mit antidemokratischen Bewegungen gehen. Diese patriarchalen Strukturen sind letzten Endes tödlich. Ihnen entgegenwirken können wir nur gemeinsam.

Und das ist für viele Partner:innen nicht leicht. Sie berichten immer wieder von Drohungen und Angriffen.

Ja, wir unterstützen unsere Partner:innen dabei, ihre Sicherheitsmaßnahmen zu stärken. In der DR Kongo haben wir PAIF finanziell dabei unterstützt , die Mauer um ihre Beratungsstelle höher zu bauen. Das klingt banal, ist aber überlebenswichtig. Das ist die physische Sicherheit. Es geht aber auch um Self-Care und Collective-Care, also um psychische Gesundheit. Die Aktivist:innen stehen teilweise unter enormem Druck. Es gilt also, ihre Resilienz zu stärken. Wir stellen ihnen zum Beispiel Mittel für Workshops zur Verfügung, in denen sie sich physisch und psychisch stärken können. Damit auch die Mitarbeitenden einen sicheren Raum haben, in dem sie zur Ruhe kommen und sich gegenseitig stärken können. Das ist für viele eine wichtige Unterstützung.

Was hilft dir, den Mut nicht zu verlieren?

Ich lerne von unseren Kolleg:innen in den Krisen- und Kriegsgebieten. Sie haben über Jahrzehnte mit viel größeren Rückschlägen zu kämpfen gehabt als wir. Und trotzdem sind sie für die Überlebenden da. Ich glaube, ihre Widerstandskraft ist es, die mich weiterkämpfen lässt. Das Patriarchat findet immer wieder neue, perfide Wege, Frauen zu unterdrücken. Aber wir Aktivist:innen und Feminist:innen finden auch immer wieder neue Formen des Widerstands. Was einen am Ende aufrecht hält: Das Leid mit anderen zu teilen. Aber auch die Freude. Ein bisschen gemeinsam zu tanzen. Was nützt uns die Revolution, wenn wir nicht tanzen können?