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04. November 2025 - Kommentar

Stärke des Rechts oder Recht des Stärkeren? Internationaler Strafgerichtshof im Fadenkreuz der Mächtigen

Warum wir den IStGH unterstützen – und was für Überlebende sexualisierter Kriegsgewalt auf dem Spiel steht, wenn er scheitert.

Die Justizstatue vor blauem Himmel

Seit seiner Gründung ist der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) vielen Regierungen ein Dorn im Auge, immer wieder wird er unterminiert und kritisiert. Doch derzeit steht der IStGH – wie viele internationale Institutionen – stärker unter Druck als je zuvor, einige Expert:innen sehen sogar seine Existenz bedroht. Mächtige Staaten wie die USA und Russland greifen zu drastischen, undemokratischen Mitteln, um die Arbeit des Gerichtshofs systematisch zu behindern und Mitarbeitende gezielt einzuschüchtern. Cyberangriffe, Spionageversuche, Sanktionen wie Einreiseverbote und das Einfrieren von Besitz, Diffamierungskampagnen, Bedrohungen: diese Angriffe sind mehr als politische Manöver. Sie erschüttern das Fundament der internationalen Gerechtigkeit. Sie gefährden die Idee, dass Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermorde – und damit auch sexualisierte Gewalt im Krieg – geahndet werden können. Unabhängig davon, wer die Täter sind oder woher sie kommen.  

Wenn Ermittlungen also zu unbequem werden – zum Beispiel weil sie gegen „die falschen“ laufen könnten – wird kurzerhand das Rechtssystem selbst attackiert. Für Überlebende sexualisierter Kriegsgewalt ist das mehr als ein juristisches Problem. Es bedeutet: noch mehr Schweigen. Noch weniger Sichtbarkeit. Noch größere Angst, dass ihr Leid nie anerkannt wird. Denn wenn diejenigen, die für Gerechtigkeit kämpfen, eingeschüchtert werden, verlieren Überlebende das, was sie am dringendsten brauchen – Hoffnung. Hoffnung darauf, dass die Wahrheit ans Licht kommt und Täter Verantwortung übernehmen müssen. Hoffnung, die im geopolitischen Machtspiel verheizt wird.

Natürlich ist der IStGH nicht perfekt. Aus intersektional-feministischer Perspektive gibt es berechtigte Kritik an seiner Arbeit – etwa daran, dass bislang überproportional viele Verfahren gegen Angeklagte aus dem Globalen Süden geführt wurden. Auch fordert medica mondiale, dass der Gerichtshof konsequenter gegen sexualisierte Kriegsgewalt vorgeht und mehr Verurteilungen in diesem Bereich erzielt. Dabei darf man jedoch nicht vergessen: der IStGH und das Völkerstrafrechtssystem sind immense Errungenschaften, für die Menschen- und Frauenrechtsorganisationen, Überlebenden-Verbände und internationale Jurist:innen jahrzehntelang gekämpft haben. Rule of Law statt Recht des Stärkeren. In einer Welt der Trumps und der Taliban, der Angriffskriege und Kriegsverbrechen, sind Institutionen wie der IStGH, die für internationale Gerechtigkeit eintreten, wichtiger denn je.

Doch Gerechtigkeit ist kein politisches Spiel. Sie ist ein Menschenrecht. Ein starkes, unabhängiges Völkerrecht, basierend auf der Überzeugung, dass kein Mensch, keine Nation über dem Recht steht, ist dafür die Grundlage.

medica mondiale stellt sich klar an die Seite des Internationalen Strafgerichtshofs. Und mit ihm an die Seite derer, die am meisten zu verlieren haben, wenn das Völkerstrafrecht weiterhin so massiv unterminiert wird: Überlebende sexualisierter Kriegsgewalt. Deshalb unterstützen wir das Joint Statement internationaler zivilgesellschaftlicher Organisationen zur Rettung des IStGH und der internationalen Rechtsstaatlichkeit. Wir fordern, dass Mitgliedsstaaten des IStGH sich klar gegen Einschüchterungen, Sanktionen und politische Einflussnahme positionieren – und den Gerichtshof aktiv stärken. Auch die Bundesregierung muss sich politisch und finanziell hinter den IStGH stellen.

Die internationale Gemeinschaft steht vor der Wahl: Will sie ein System, in dem Täter zur Rechenschaft gezogen werden? Oder eins, in dem Macht über Recht steht? Wir jedenfalls wissen, auf welcher Seite wir stehen.

Portrait von Rhea Franke, Politik und Menschenrechte bei medica mondiale
Rhea Franke
Politik und Menschenrechte