Als die Taliban am 15. August 2021 mit der Einnahme der Hauptstadt Kabul erneut die Macht ergreifen, sind die Aktivistinnen von Medica Afghanistan in Lebensgefahr.
Sie vernichten Unterlagen, verbrennen Zeugnisse und Fotografien. Einige tauchen in Hotels, neu angemieteten Apartments oder bei Freund:innen unter. Innerhalb einer Woche organisieren sie sich unter den schwierigen Bedingungen und schicken ausführliche Listen mit den Namen und Daten der bedrohten Aktivistinnen und ihrer Familienangehörigen an medica mondiale nach Deutschland.
Der Krisenstab arbeitet rund um die Uhr

Dort arbeitet ein Krisenteam rund um die Uhr daran, Aufnahmezusagen von der Bundesregierung zu erhalten und einen Weg zu finden, die Kolleginnen außer Landes zu bringen – während sich amtliche Vorgaben und Zuständigkeiten auf Behördenebene teilweise täglich ändern. Es sind Wochen voller Hoffnung und Verzweiflung, in denen sich scheinbare Auswege immer wieder als Sackgassen erweisen.
Über Messengerdienste bleiben die Frauenrechtsaktivistinnen in Afghanistan und Deutschland rund um die Uhr verbunden. Sie teilen Sicherheitsinformationen und organisieren die Frauen und ihre Familien in Gruppen, um flexibel auf neue Fluchtoptionen, aber auch auf Gefahren reagieren zu können. Das medica-Team in Köln und Berlin arbeitet in Schichten, schickt Geschichten für die Kinder und leitet Solidaritätsbekundungen von Partnerinnen aus Liberia, Ruanda und dem Kosovo weiter. Die Trauma-Kolleginnen aus dem Nordirak schicken Atemübungen. Selbst in schwierigen Situationen bricht der Austausch nicht ab. Jede Nachricht macht klar: Wir lassen euch nicht allein!
Demonstrationen und Solidaritätsbekundungen

Wie medica mondiale stehen Menschenrechtsorganisationen weltweit vor der Herausforderung, Kolleg:innen, Verbündete und ihre Familien bei der Flucht zu unterstützen. Die Taliban verfolgen neben Frauenrechtsaktivist:innen auch andere Menschenrechtler:innen sowie Journalist:innen und Ortskräfte – alle, die sich mit internationaler Unterstützung für Menschenrechte und Demokratie eingesetzt haben.
Die Organisationen sind in ständigem Austausch über neue Entwicklungen und Möglichkeiten, Menschen zu evakuieren. In Köln, Berlin und vielen anderen deutschen Städten organisieren sie Demonstrationen und fordern Unterstützung für Menschen, die Afghanistan verlassen müssen. Weltweit zeigen Partnerorganisationen von medica mondiale ihre Solidarität. Die Aktivist:innen von Medica Liberia halten Mahnwachen ab, Partner:innen in Uganda, Ruanda, Kosovo, und Bosnien und Herzegowina senden solidarische Botschaften nach Afghanistan.

Dank der Unterstützung vieler Verbündeter, darunter Kabul Luftbrücke, gelingt es medica mondiale, die gefährdeten Aktivistinnen und einige ihrer engsten Familienmitglieder nach Deutschland zu holen.
Bei medica mondiale entsteht ein „Team welcome“. Es organisiert neben der Erstausstattung für neugeborene Babys auch Laptops für deren Mütter, Spielsachen für ältere Kinder und Sprachkurse für alle Familienangehörigen. Workshops zur Selbstfürsorge helfen, mit der bedrückenden Situation zurechtzukommen.
Im „Team welcome“ und bei der Umsetzung der Workshops engagieren sich auch evakuierte Kolleginnen.
2022 entsteht in Kooperation mit der Frankfurt University of Applied Sciences entsteht ein Aufbaustudium im Bereich Soziale Arbeit, an dem mehr als die Hälfte der Aktivistinnen von Medica Afghanistan teilnimmt.
Der Einsatz für Frauenrechte geht weiter

Ein Jahr später beginnt medica mondiale gemeinsam mit elf ehemaligen psychosozialen Fachkräften von Medica Afghanistan ein Projekt, das afghanische Aktivist:innen in Deutschland, Iran, den USA und Afghanistan psychosoziale Unterstützung bietet.
Im selben Jahr gründen 30 geflüchtete Aktivistinnen die Frauenrechtsorganisation Hami – Women Empowerment Organization. 2024 erhält Hami den Menschenrechtspreis der Gerhard und Renate Baum-Stiftung.