
Basira Akbarzada
Sozialarbeiterin sowie frühere psychosoziale Beraterin und Programmreferentin bei Medica Afghanistan
Ich hatte Glück. Aber ich bin nicht glücklich. Du kannst nicht wirklich glücklich sein, wenn du es allein bist.
Am 15. August 2021 war ich mit meiner Tochter zu Hause. Sie war gerade vier Monate alt. Die ersten Nachrichten über die Machtübernahme der Taliban hielt ich für Fake News. Ich konnte es einfach nicht glauben. Aber sie kamen, nahmen uns die Freiheit und ließen uns die Angst.
Ich wusste: Einige meiner Nachbarn waren jetzt Taliban. Und sie wussten: Ich hatte jahrelang als Psychologin für internationale Organisationen gearbeitet. Auch in unserem Viertel hatte ich Frauen Anwältinnen vermittelt, damit sie sich juristisch gegen ihre gewalttätigen Männer zur Wehr setzen konnten. Panisch vernichtete ich Arbeitsdokumente und versteckte Fotos. Ich verließ das Haus nur noch, um meine Eltern zu sehen, und wartete auf eine Möglichkeit, das Land zu verlassen.
Der erste Versuch kam schnell: Schon kurz nach Einmarsch der Taliban erhielt ich eine Nachricht des medica mondiale-Teams. Das Team war dabei, Flüge für uns zu organisieren. Wir sollten in die Nähe des Flughafens kommen, um schnell da zu sein, sollte es losgehen.
Zwei Nächte verbrachten mein Mann, unser Baby und ich daraufhin bei meiner Schwägerin. Am Handy verfolgten wir die Geschehnisse am Flughafen. So viele Menschen drängten sich vor den Toren, in der Hoffnung, einen Weg außer Landes zu finden. So viele starben, erdrückt in der Menschenmenge. Mit unserer kleinen Tochter schien mir das zu gefährlich. Deshalb versuchten wir erst gar nicht, zum Flughafen zu kommen, und fuhren stattdessen wieder nach Hause. An manchen Tagen checkte ich minütlich meine E-Mails, um ja keine Nachricht zu verpassen.
Wir wussten nicht, was wir tun sollten, wenn die Evakuierung scheitern würde. Welche Zukunft hätte uns erwartet?
In der Nacht, als die letzten amerikanischen Soldat:innen Kabul verließen, wurde ich von Schüssen geweckt. Panisch rüttelte ich meinen Mann wach: „Steh auf, es ist Krieg.“ Aber es waren nur die Freudenfeuer der Taliban, die den Abzug der US-Truppen feierten. Ich verlor die letzte Hoffnung, aus dem Land zu entkommen.
Während dieser schweren Zeit schickte das Team von medica mondiale Nachrichten. Jeden Tag. „Wir sind bei euch“, schrieben sie. „Wir lassen euch nicht alleine.“ Manche dieser Nachrichten habe ich heute noch. Zu wissen, es gibt Menschen, die bei uns sind, hat mir geholfen, diese Zeit zu überstehen.
Und sie ließen uns tatsächlich nicht allein: Am 14. November konnte ich mit meinem Mann und unserer kleinen Tochter Afghanistan verlassen. Neun Tage verbrachten wir in Islamabad. Am 25. November landeten wir in Deutschland, in Sicherheit und Freiheit.
Basiras Flucht nach Deutschland

Es war schwer, neu anzufangen, die Gedanken an die Familie in Afghanistan immer dabei.
Ich musste mich in einer neuen Kultur zurechtfinden, eine neue Sprache lernen. Schon kurz nach unserer Ankunft erwartete man von mir, dass ich Deutsch spreche, etwa als ich Probleme mit den Augen bekam. Ich spreche Englisch, die behandelnde Ärztin ebenfalls, aber trotzdem bestand sie darauf, mit mir auf Deutsch zu kommunizieren. Ich war oft traurig.

Anderthalb Jahre lebten wir im Heim. Wir hatten es besser als andere: Wir hatten eine eigene Toilette im Zimmer und mussten uns nur die Küche teilen. Es war trotzdem schwer. Mittlerweile haben wir eine Wohnung gefunden. Ich habe ein Aufbaustudium an der Frankfurt University of Applied Sciences absolviert und gemeinsam mit ehemaligen Kolleginnen Hami e. V. gegründet. „Hami“ bedeutet „Unterstützer:in“ auf Dari. Außerdem engagiere ich mich als Trainerin im Bereich Traumafachberatung. Ich hoffe, dass ich bald in der Migrationsberatung arbeiten kann.
Aber während ich mich darüber freue, dass ich neue Pläne schmieden, allein und sicher durch die Straßen laufen, dass unsere Tochter in Freiheit aufwachsen kann, denke ich an die Frauen und Mädchen in Afghanistan. Sie hatten nicht so viel Glück wie wir. Meine kleine Schwester war im letzten Jahr ihres Medizinstudiums, als die Taliban kamen. Sie gehörte zu den Jahrgangsbesten. Wird sie jemals als Ärztin arbeiten können?
Ich frage mich, ob es nicht doch eine Möglichkeit gibt, dass die Regierung in Berlin Frauen und Mädchen erlaubt, nach Deutschland zu kommen. Damit sie weiter zur Schule gehen oder ihr Studium zu Ende bringen können. Damit sie eine Zukunft haben.
Welche Wünsche ich für die Zukunft habe? Ich hoffe, dass ich eine Arbeit finde, bei der ich mein Wissen und meine Fähigkeiten einsetzen kann. Meiner Tochter wünsche ich eine glänzende Zukunft in Deutschland. Und allen Frauen: ein Leben ohne Gewalt.